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Die Hechte hoffen auf Hochwasser

Flut und Rinnsal in Brandenburg: Elbe und Spree wurden beide begradigt, reagieren jedoch unterschiedlich auf die Einmischung des Menschen in das Flusssystem. In und um Berlin laufen nun Bemühungen, die Flüsse zu renaturieren

Wer sich in diesen Tagen eine Flut wünscht, erntet Stirnrunzeln. Doch der Gewässerökologe Helmut Fischer vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin meint es ernst: „Dem Hecht würde eine Überschwemmung gut tun.“ Während Brandenburg im Westen gegen die Hochwasserflut der Elbe kämpft, leidet die Krumme Spree im Osten unter chronischem Wassermangel. Die Gründe für Rinnsal und Flut sind diesselben: Der Mensch hat in das Gleichgewicht der Natur eingegriffen.

Berlin und die Brandenburger Nachbarn versuchen nun, die Geister loszuwerden, die sie einst riefen. Ende des 19. Jahrhunderts zwängte man die Krumme Spree, südöstlich von Berlin zwischen Neuendorfer- und Schwielochsee, in begradigte Flussbetten, an der Müggelspree sogar bis in die 60er-Jahre. Ziel: Freie Flächen für Landwirtschaft und Schutz vor dem Hochwasser für die Heuernte. „Die Flüsse wurden beschleunigt, um das Hochwasser abfließen zu lassen“, sagt Fischer. Die Jahrhundertflut an der Elbe beweist, dass Beschleunigungen zu noch höheren Pegeln führen. An der Spree aber sank der Grundwasserspiegel, da das Wasser schneller aus dem ohnehin wasserarmen Gebiet floss. Auf den Eingriff folgte das Gegenteil, was die Flussbegradiger erreichen wollten: Der Boden trocknete aus, an der Müggelspree kann seither keine Landwirtschaft mehr betrieben werden. Das natürliche Flusssystem geriet aus den Fugen. Wimmelte es einst in der naturbelassenen Spree von Barben, ist der Fisch mit Schnurrbart heute vollständig verschwunden.

Nun heißt das Zauberwort „Renaturierung“. Der Fluss darf wieder durch die alten Mäanderschlaufen fließen. An der Müggelspree stehen schon die ersten Bagger, um den Zugang zum alten Flussbett aufzuschaufeln. Die Renaturierung dauert aber noch zehn Jahre. An der Krummen Spree diskutieren Behörden und Anwohner noch über Maßnahmen. „Hier ist die Austrocknung aber dramatischer“, warnt der Experte Fischer.

Mäandert die Spree wieder, verflacht das Flussbett und der Sauerstoffgehalt des Wassers nimmt zu. Verdrängte Fisch- und Pflanzenarten werden zurückkehren, hoffen die Wissenschaftler vom IGB. Wie die Quappe. Die bedrohte Fischart war vor der Begradigung das tägliche Brot der Berufsangler. Oder der König der Süßwasserfische: der Hecht. Um zu laichen, benötigt er flaches Gewässer. Deshalb wünschen sich die Forscher vom IGB seit langem ein Hochwasser in der Spree. Die Renaturierungen könnten dies ermöglichen. Da die Auen an der Müggelspree unbewohntes Gebiet sind, würde eine Überflutung keine Schäden anrichten. Sogar der scheintoten Stadtspree wollen IGB und der Berliner Senat Leben einhauchen. An breiten Stellen sollen Schilfzonen entstehen. Das Projekt scheiterte aber bisher am fehlenden Geld. SIMON JÄGGI

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