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Die Freistil-Interventionistin

von HEIDE OESTREICH

Sie ist ungeschminkt und sie trägt auch kein Kostüm. Die kleine Frau in der 5. Reihe springt auf, als das Publikum die Experten befragen darf. Sie fragt nicht, sie wirft ein. Widerspricht. Argumentiert. Witzig, pointiert und „engagiert“, so hätte man früher Tempo und Tonhöhe charakterisiert. Schnell auf jeden Fall. Der eine Satz ist noch nicht zu Ende, da ist schon der nächste da.

Es passiert, als eine konservative Stiftung Familienpolitik debattiert: Halina Bendkowski fordert, dass Homopaare Kinder adoptieren dürfen. Es passiert wieder, als die Grünen sich ob ihrer Frauenpolitik auf die Schulter klopfen wollen: Warum sie nicht öffentlich über die niedrigen Löhne für Frauen reden? Und es passiert auch in New York, als eine Feministin Solidarität mit afghanischen Frauen reklamiert: „Afghanistan ist überall.“ „Stimmt nicht“, sagt Halina Bendkowski, „wenn es überall wäre, wären wir nicht hier.“

Ideenlobbyistin nennt sie sich. Aktionsforscherin. Männerforscherin. Agentin für Feminismus und Geschlechterdemokratie. Sie reist von Symposion zu Symposion, von Kongress zu Kongress. Und macht Einwürfe. Und zwar in alle Richtungen. Denn diese Lobbyistin ist unabhängig. Von allen.

Die Einwürfe macht sie am liebsten mündlich. „Ein Text ist nur ein Text“, sagt Bendkowski, „Da muss niemand reagieren. Aber im persönlichen Gespräch, da müssen Sie nachdenken und antworten.“ Sie ist schon wieder aufgesprungen, hier in ihrer Küche in Berlin-Schöneberg. Die Küche ist nicht sehr aufgeräumt, die Wohnung klein – und voll: Freundin aus New York in einem Zimmer, Katzen im Flur, das andere Zimmer ist Bendkowskis. Unter dem Hochbett türmt sich ihr „Büro“, einen Schreibtisch kann man unter Papierstapeln und Computer ausmachen. Kein Rückzugsraum: Person und Politik sind untrennbar verbunden.

Das ist gleichzeitig ihr Trumpf und ein Problem. Sie persönlich will etwas. Das wirkt. Etwa als sie in den Achtzigerjahren anfängt, die Frauenhausszene zu agitieren. Nicht die Frauen sollten ins Frauenhaus fliehen: Männer raus, Männer ins Sozialtraining, diese amerikanische Idee macht sie in Deutschland bekannt. „Ich bin ja durchaus eine Männerversteherin“, sagt sie lächelnd dazu. Zwanzig Jahre später tritt ein neues Gewaltschutzgesetz in Kraft, das Täter aus der Wohnung verbannt. Das hat auch mit vielen anderen zu tun, aber durchaus auch mit Halina Bendkowski.

Die Frauenbewegung ist müde geworden, Halina B. nicht. Als sie merkt, dass feministische Kritik nicht ausreicht, um etwas zu ändern, propagiert sie die „Geschlechterdemokratie“. Damit schlägt sie eine Brücke zu den Jüngeren, die sich mit dem Feminismus schwer tun. Die grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung übernimmt den Begriff. Erfolgreiches Lobbying war auch die Agitation der bekennenden Lesbe mit dem Lesben- und Schwulenverband für die Homoehe.

Aber irgendwas stimmt nicht. „Hast du eine Festnetznummer?“, fragt sie. „Auf dem Handy anzurufen ist mir zu teuer.“ Sie selbst hat keins. Eine Lobbyistin ohne Handy. Ohne Büro. Die Bezahlung stimmt nicht. „Ich brauchte ein Stipendium für feministische Intervention“, findet Bendkowski. Nach allem, was sie geleistet hat für die Zivilisation, wo bleibt der Dank? Gegenfrage: Warum betreibt sie nicht ein bisschen Lobbying für sich selbst? Sucht sich einen bezahlten Posten? „Ich bin Einzelkämpferin“, sagt sie bedauernd dazu, „Ich muss Klartext reden können. Bei der Kompromisssuche in den Institutionen geht die Wahrheit zu oft verloren.“ Einmal hat sie es versucht: 1990 war sie neun Monate im Berliner Abgeordnetenhaus. Auf der Grünen-Liste. „Gesellschaftliche Verantwortung muss etwas anderes sein, als in den Startlöchern zur lauernden Regierungsübernahme zu sitzen, in der man/frau sich realitätstüchtiger präsentieren muss, als es bei realitätsmächtigen Verhältnissen möglich ist“, schreibt sie, als sie das Mandat niederlegt. Es gibt kein wahres Leben im falschen. „Vielleicht bin ich ja auch negativ fixiert?“, fragt sie.

„Halina verbindet auf einzigartige Weise politische Aussagen mit ihrem gelebten Leben“, beschreibt die Politologin Claudia Neusüß, die lange das Feministische Institut der Böll-Stiftung leitete, „damit kann sie ganz anders berühren.“ Aber sie ist auch immer berührt. Als sie in den 80ern die Gewaltdebatte aufmischt, weiß sie, wovon sie spricht.

Sie ist das vierte Kind einer allein erziehenden Putzfrau, die in den 50er-Jahren aus dem polnischen Gleiwitz ins proletarische Oberhausen übersiedelt. Die Mutter hatte ein Verhältnis mit einem jüdischen Deutschen, war daraufhin „schuldig“ geschieden worden und gebar Halina. Das ihr nachgerufene Schimpfwort „Judenhure“ projizierte die Mutter auf ihr Kind. „Meine Mutter war wütend und bitter“, sagt Bendkowski kurz dazu. Nicht nur aus eigener Erfahrung lernt sie kennen, was Schläge anrichten. „In unserem Mietshaus waren die Wände dünn.“

Als sie Anfang der 70er mit einer Lesbengruppe in Münster Flugblätter verteilt, wird die Gruppe verjagt. Sie stört die guten Sitten. „Meine Existenz störte die guten Sitten!“ Ist es ein Wunder, dass Bendkowski den Aufbruch der Frauen lautmalerisch ausdrückt? „Wom!“ war die Frauenbewegung für sie. „Plötzlich wurde klar, Frauen können alles! Ich war in einer intellektuellen Euphorie.“ Frauen können alles analysieren, kritisieren, neu formulieren: Die frei flottierende Agentin für Feminismus war geboren. „Ich wollte auf keinen Fall institutionalisiert sein. An der Uni arbeiten? Referenzkataloge und solches Zeug, das hätte mich alles nur abgehalten.“ Der Bendkowski’sche Freistil war leicht und luftig, als der Feminismus neu war und Berlin eine Subventionsmaschine. Sie hüpft von ABM-Stelle zu ABM-Stelle, organisiert Vorträge vergessener Feministinnen, Kongresse, Diskussionen. Das ist ihr großes Talent.

Doch die goldene ABM-Zeit ist vorbei. Auch Senatsaufträge blieben aus, Bendkowski wurde den PolitikerInnen zu unkonventionell, der Abstand zu Institutionen geriet zum Nachteil. „Die wollen immer repräsentative Professoren. Aber die analysieren oft nur, die wollen nichts!“, sagt die Aktionsforscherin. Die „Institutionalisierten“ dagegen werfen ihr Unprofessionalität vor.

Die Diplompolitologin Patricia Keeding etwa steigt 1998, frisch von der Uni kommend, als Projektmanagerin bei der Böll-Stiftung ein. Die Zusammenarbeit mit Bendkowski, die damals einen Werkvertrag hatte, sei „schwierig“ gewesen. „Verabredungen wurden nicht eingehalten, die Abrechungen nicht gemacht. Halina präsentierte stattdessen eine Schuhschachtel voller Rechungen. Das waren zig Überstunden für mich und mein Team.“

Das wisse man doch, sagt Bendkowski, dass sie „diesen Abrechnungskram“ nicht beherrsche. Dafür habe sie Referentinnen aufgetan, die die jüngere Generation nicht einmal mehr mit Namen kenne. Die 31-jährige Keeding dagegen findet, dass Bendkowski an zweifelhafte feministische Solidarität appelliere, wo es gelte, Verträge professionell zu erfüllen. Schriftliche Vorlagen habe man überarbeiten müssen, von Erläuterungen im Anhang keine Spur. Anhang! Halina Bendkowski, die Freestylerin, hat sich um Anhänge nie geschert.

„Für mich zählen andere Sachen“, sagt Keeding: „Wo ist ihr wichtiges Buch, wo sind die wichtigen Aufsätze? Wo hat sie Einfluss auf EntscheidungsträgerInnen?“ Dabei ist Bendkowski doch Interventionistin. Keeding will „mit Feminismus Geld verdienen“. Dass Bendkowski vielleicht keine angemessene Altersversorgung hat, gilt der Jüngeren nicht als Opfer an die Allgemeinheit, sondern als Ergebnis individueller Entscheidungen.

Doch nicht nur die Lebensform Bendkowskis steht bei den Jungprofis unter Verdacht. Keeding etwa hat kein Bedürfnis, gegen eine Helmut-Newton-Ausstellung zu demonstrieren, wie Bendkowski es 2001 tat. Die Ausstellung sei eine „Zumutung für Frauen“, hieß es in ihrem Aufruf. „Das einfach frauenfeindlich zu finden ist mir zu undifferenziert“, sagt Keeding. „Was ist mit Frauen, die Sadomaso mögen? Dürfen die keine Feministinnen sein? Darüber muss man diskutieren, statt es verbieten zu wollen.“ Nur: Eine Diskussion fand nicht statt. Bis Bendkowski intervenierte. Auf ihre plakative Art.

Ist Interventionismus nicht mehr gefragt in Zeiten, in denen Feministinnen Geld verdienen wollen? Und in der Frauenpolitik das Konzept des „Gender Mainstreaming“ propagiert wird: Auswirkungen auf Männer und Frauen sollen bei allen politischen Maßnahmen geprüft werden. Da kommen auf die jungen Profifeministinnen viele Jobs zu. Nur: Ändert sich nach der aufwändigen Prüfung wirklich etwas? Kann es nicht sein, dass die Genderfrage im Mainstream schlicht untergeht? Dafür bedarf es feministischer Intervention. Halina Bendkowski führt Streitgespräche mit jungen Genderforscherinnen. Nein, diese Lobbyistin wird vielleicht brotlos, arbeitslos wird sie nicht.

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