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Boote in Forsthäusern

Das idyllisch gelegene Sommerhäuschen im Speckgürtel, das ferne Rauschen des Berliner Rings und die trügerische Sicherheit in den Großstädten: Die ersten Ausläufer der Jahrhundertkatastrophe gelangen nach Berlin und sorgen für einige Aufregung

Ob sie bei der Benefiz-Gala wohl auch ein Wasserballett präsentieren?Panik auch im vom Hochwasser bedrohten Städtchen Wörlitz

von FALKO HENNIG

Im Regionalzug, mit dem wir gegenüber der S-Bahn eine halbe Stunde Fahrzeit sparen, spricht ein Mann in sein Funktelefon. Dass er nach Dresden müsse, hört man ihn erzählen, bis 16 Uhr könne er es bis Neustadt schaffen, von dort ginge es mit dem Boot weiter, und wenn nicht: „Dann muss ich eben wieder zurück.“

Doch dann sind wir da. Die Sommersonne strahlt auf ein großes Holzhaus in einer Umgebung, über deren genaue Lage man sich streiten kann: Liegt dieses Fleckchen Erde noch in Berlin oder gehört es schon zum Speckgürtel? Von fern ist manchmal, wenn der Wind richtig steht,sogar das Rauschen des Berliner Rings zu hören.

Jedenfalls weit entfernt vom Hochwasser, da bin ich sicher. Hier haben wir nichts zu befürchten. Ich bin zu Besuch, meine Kinder toben im Garten, meine Mutter hat Probleme mit dem Knie. Sie telefoniert mit ihrer Schwester, meiner Tante. Anna war zu Besuch, erfahre ich, dann kam der Anruf. Panik in Wörlitz, das sei auch vom Hochwasser bedroht. Die Männer schieben schon Wache am immer weiter aufweichenden Damm. Annas Haus liegt besonders tief. Tante Renate und Onkel Günter wissen nicht, ob sie zum Besuch bei Bärbel in Bebra überhaupt über die Elbbrücke kommen. Ferdinands Mutter in Dresden hat Krebs und bekommt Chemotherapie. Sie ist vor kurzem aus dem Krankenhaus, sonst wäre auch sie mit evakuiert worden.

Die aktuelle FAZ scheint mir mit ihrer Hochwasser-Berichterstattung, Deutschland unter, und den Islamisten schon heute veraltet. Und meine kleine Tochter Lisa hat mich wohl durchschaut: „Schaukel mich an! Du liest ja gar nicht, du guckst ja nur!“

Mein Vater taucht auf, lädiert und mit Dackel. Beim Fußball gestern ist er auf die Bank geknallt und hat sich womöglich eine Rippe angebrochen. Das Städtchen Mühlberg, für dessen Zeitung er schreibt, ist vom Wasser arg in Mitleidenschaft gezogen worden. In Wittenberg sollte die Flutwelle am Dienstag eintreffen.

Die Kinder bekommen mit, als mein Vater die Geschichte von dem Prager Elefanten erzählt. Dabei hatte er die Fernsehbilder ohne Ton gesehen und wusste deshalb nicht, was der aus dem Wasser ragende Rüssel bedeuten solle. Die Kinder fragen, was Panik sei und warum man den Elefanten hätte töten müssen. Damit er niemanden erdrückt, erkläre ich. Dann gibt es Nudeln mit Apfelmus und Zimt für die Kinder sowie Pellkartoffeln mit Fischstäbchen für uns.

Mein Vater findet es Wessi-typisch, erst von Dahlewitz nach Ludwigsdorf und schließlich nach Ahnsdorf umzuziehen, nur weil die Miete dort 50 Mark billiger sei. Aber 50 Mark, hält meine Mutter dagegen, das lohne sich doch. Doch die Umzugskosten! Er erzählt, dass er jemandem eine Jacht besorgt habe, woraufhin meine Mutter vermutet: „Das geklaute Schlauchboot.“ Doch er verweist auf die Forsthäuser seiner Großeltern.

Ach, Jagd meine er, sagt meine Mutter, warum er immer Jacht sage, sie habe sich schon gewundert, was ein Boot mit den Forsthäusern zu tun habe, deshalb habe sie das doch auch mit dem Schlauchboot gesagt. Da habe er wohl nicht geschaltet.

Im Fernsehen ist von einer großen Benefiz-Gala zugunsten der Überschwemmungsopfer die Rede, ob sie da auch ein Wasserballett präsentieren? Schließlich taucht der Untermieter auf. Von Beruf ist er Maurer, und eigentlich arbeitet er immer bis spät abends. Jetzt aber ist es gerade früher Nachmittag. Er erzählt, dass sein Chef ihn gefragt habe, was er hier wolle, schließlich würden in Schöneweide dringende Arbeiten anstehen. Die Großeltern in Wittenberg müssen evakuiert und ihre Möbel in Sicherheit gebracht werden, hat er dann gesagt, woraufhin sein Chef verstanden habe: „Na gut, dann fahr mal!“ Das Hochwasser hat Berlin erreicht.

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