: Triumph des Unwillens
In zahlreichen Geburtstagshomestorys wird wieder einmal über Leni Riefenstahl als deutschen Mythos geschwätzt und geraunt. Das ist erkenntnislos und charakterarm
Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schwätzen. Und am besten ist, man lässt das Objekt der ratlosen Neugier selber schwätzen. So also, nicht durch kritische Analyse, sondern mit den Mitteln von Talkshow, Homestory und launigem Feuilleton, wird, in vorauseilendem Gratulationsfieber, hierzulande einer der seltsamsten Erscheinungen in der Geschichte der Bewegungsbilder gedacht. Hier mit einer missmutigen Bemerkung zu einem Menschen, der das Recht auf Respekt, auf die nachsichtige Zärtlichkeit, die wir dem Alter entgegenbringen, wenn wir einigermaßen bei uns sind, gründlich verwirkt hat und täglich weiter verwirkt. Dort mit einem Raunen über Faszination und Verführung, über eine große Künstlerin auf falschem Weg. Gern bedient man sich da jenes Umweges über die Kulturen jenseits der Landesgrenze: Haben nicht in den Fünfzigerjahren die Franzosen und ein, zwei Jahrzehnte später die Amerikaner, hat nicht zuerst die Kultur und dann die Popwelt sie entdeckt, wurde Leni Riefenstahls Ästhetik nicht immer wieder in überraschenden neuen Zusammenhängen modern, und fand sie nicht die Bewunderung einiger unverzichtbarer Kulturhelden, von Mick Jagger bis Jodie Foster?
So schwätzt man eben herum, erkenntnislos und charakterarm. Immer aber mit Bedacht, nicht wirklich den Mythos der Riefenstahl zu zerstören, der sich noch prächtig verkauft. Ein Seiteneinstieg in den faschistischen Untergrund unserer Kultur, den wir weder verschließen noch demokratisch öffnen wollen. Wenn man die publizistische Gratulationskur mit ihren Verbeugungen und Verrenkungen ansieht, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, es gehe bei allen Vorbehalten, die man noch zu formulieren hat, nicht um die kritische Distanz, sondern um eine kulturelle Eingemeindung. Irgendwie wollen wir doch stolz sein auf diese „größte Regisseurin“. Deshalb sind Zeitschriftenartikel, Fernsehfeatures und Bilderstrecken so weit von kritischer Distanz, von einem paradoxen Bemühen um Nähe geprägt, als wollten die einen immer noch versuchen, diesen Panzer von Verdrängung und Selbstgerechtigkeit zu durchbrechen, während sich die anderen schon zu wärmen beginnen in der Strahlkraft der gemütlichen Popikone.
Genug davon! Könnt ihr nicht wenigstens schweigen, wenn ihr nicht sprechen könnt? Und wenn ihr schon wisst, dass euer Objekt hundert Jahre jene Mischung aus Sprechen und Nichtsprechen geübt hat, die sich vom deutschen Untertanen über Faschismus und Postfaschismus ins rechtspopulistische Klima der Millenniumszeit erhalten hat, müsst ihr ihm dann trotzdem zu medialer Allgegenwärtigkeit verhelfen? „Leni Riefenstahl“, der selbst erzeugte und medial re-induzierte deutsche Mythos, schweigt nach links, schwätzt in der Mitte und spricht sehr deutlich nach rechts. Und er sagt, ganz nebenbei, eine Menge über den Zustand unserer Medienkultur.
Wenn man ein wenig von Bewegungsbildern versteht, ist es gar nicht so schwer, ziemlich konkret und, soweit das im ästhetischen Diskurs möglich ist, stichhaltig zwei Dinge nachzuweisen. Nämlich 1.: dass Leni Riefenstahls so genannte Kunst nicht nur zufällig in entscheidender Zeit auf das faschistische Sujet stieß, sondern dass ihr Blick auf die Welt, die Menschen, die Dinge, die Beziehungen, die Bewegungen, die Dimensionen, die Perspektiven, kurz alles, was aus einem Blick ein Bild herzustellen vermag, im Wesen antihuman, gefühllos (was nicht etwa heißen soll: unsentimental), todesgeil, mitleidlos, antiaufklärerisch und faschistisch ist. Da führt eine klare Linie von Olympiaden, Bergwelten, Reichsparteitagen zu Nuba-Kämpfen und Korallenriffen. Und immer, immer wieder hat Leni Riefenstahl dabei erbarmungslos das menschliche und natürliche „Material“, das sie zur Herstellung ihrer „reinen“ Schönheit benötigte, kaputtgemacht. Auch da führt der Weg von Zigeunern, die aus dem Konzentrationslager vor die Kamera und wieder zurück gelangt sein mochten, zu einem „Naturvolk“, in dem la Riefenstahl ihre begehrte Art des Urfaschismus zu erkennen meinte und das sie mit Glasperlen für die gewünschte Darstellung der Kampf- und Liebesrituale bezahlte, um kurz darauf die Korruption der armen Nuba-Völker zu beklagen. Unmoralische Bilder erkennt man, wenn man sie schon anders nicht erkennt, auch am unmoralischen Prozess ihrer Herstellung.
Und 2.: Es ist wohl auch ohne allzu viel theoretische Anstrengung zu erkennen, dass Leni Riefenstahl zeit ihres Lebens vor allem Kitsch produziert hat. Bösen Kitsch, technisch verstärkten Kitsch, maßlosen Kitsch gewiss, und Kitsch ist nicht das alles entscheidende Kriterium in der Beurteilung von Bildern. Und trotzdem gilt es, den Begriff „Kunst“ auch im Bereich des Filmischen, wo das in der Tat nicht immer so leicht ist, gegen die Popstrategien der Wunscherfüllungen und Traumideologien zu verteidigen. Noch am nachsichtigsten könnten wir gegenüber dem pornografischen Aspekt dieses Bilderkitschs sein. Aber sogar in ihrer Geilheit schwingt da immer noch der faschistische Sadismus mit: Der männliche Körper bei Leni Riefenstahl will töten oder muss getötet werden – der weibliche will Objekt und Preis dieses Tötens sein. Das metaphallische Ideal ihrer Bilder dürfte auch psychoanalytisch hinreichend aufgeklärt worden sein. Das Leni-Riefenstahl-Geschwätz zu ihrem Hundertsten kann sich nicht einmal darauf hinausreden, diese Art der deutschen Bilderproduktion sei nirgends erklärt. Es gibt, zugegeben, nicht die umfassende und tiefe kritische Monografie, die der unablässigen mythischen Vernebelung standhielte, aber ein wenig Fleiß und Neugier vorausgesetzt, lässt sich ein ganz anderes Leni-Riefenstahl-Bild zusammensetzen als das der geschwätzigen, raunenden und ikonisierenden Geburtstagsbouquets.
Nein, Leni Riefenstahl ist nicht zur Metapher einer verführten Künstlerin geworden, wie es einige so gern hätten, sie ist zur Metapher des Fortwirkens, der Unfähigkeit zu trauern und einer moralisch-ästhetischen Blindheit geworden, die selber längst wieder zur politischen Botschaft geworden ist und die sich nun auch wieder ganz bewusst inszenieren lässt. Jede Trauergeste, die sie demonstrativ verweigert (wie im letzten Jahr in St. Petersburg, wo sie gern einen Preis entgegennahm, der Kranzniederlegung für die Opfer des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion aber fernblieb), jeder Journalistentölpel, der sich wieder zum Sprachrohr ihrer unverschämten Larmoyanz macht, munitioniert die Rammsteins und andere hässliche Mediendeutsche. Wir gehen mit Reinhold Messner ehrfürchtig mit ihr noch einmal in die magischen Berge, und wir lassen uns (in Frankfurter Rundschau oder Zürcher Weltwoche) immer wieder die Tiraden von den bösen Verfolgungen der Leni Riefenstahl gefallen, als wäre diese Stilisierung zum Opfer nicht auch eine Verhöhnung der wahren Opfer des deutschen Faschismus. Denen, nicht der faschistischen Greisin, soll unser Gedenken gelten. GEORG SEESSLEN
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