: Adoleszenz im Geiersturzflug
Die Focke-Sonderausstellung „Wandrahm. 4 Jahrzehnte Fotografie an der Hochschule für Künste Bremen“ erzählt zugleich Fotografie- und Zeitgeschichte. Außerdem zu sehen: Die Power der Lehrjahre und das, was bei den Profis davon übrig bleibt
Nix los heute. Egal, ob zu Hause oder draußen auf der Straße – ein weißes grobripp Träger-Unterhemd reicht. Alle zwei Tage rasieren reicht auch. Nicht aus Provokation, nur weil’s einfacher ist. Ist ja nix los. Abhängen mit skeptisch-ernstem Blick und gelangweilt auf jegliche Außenwirkung verzichten. Dass da ein Miniatur-Krokodil direkt nebenan auf den Straßenbahngeleisen steht, tut nichts zur Sache. Demnächst wird es platt gefahren sein. Aber diesen 30-Jährigen hält kein schlechter Witz davon ab, weiterhin schlecht gelaunt den eigenen Puls zu fühlen.
Die Bremer Fotografin Sabine Heddinga hat diese Szene für ihre Fotokamera inszeniert, 1987, als sie noch Studentin an der Hochschule für Künste Bremen war. Heute wirkt das Bild wie ein ironischer Gegenentwurf zum neonbunten Trash der 80-er, zu Glitter und Schweißband. Gleich neben Heddingas Bild hängt so ein Foto, eines von 1981: Udo Kilian hat einen Jugendlichen fotografiert, der aussieht, als wäre er direkt aus dem „Geiersturzflug“-Video gefallen. Postiert hat er ihn vor einer maximal tristen Hochhauskulisse auf dem Mittelstreifen. Adoleszenz-Alltag vor 21 Jahren: Depression im lila Leder-Blazer.
Beide Fotos sind derzeit zu sehen im Focke-Museum, beide gehören sie zur Ausstellung „Vier Jahrzehnte Fotografie an der Hochschule für Künste Bremen“. Der Anlass: Erstens beendet HfK-Professor Fritz Haase, 65, seine Lehrtätigkeit, zweitens beginnt mit dem Umzug der HfK in den Speicher XI am Überseehafen ab Oktober nächsten Jahres eine neue Ära. Deshalb also im ersten Teil der Ausstellung ein Rückblick auf das, was im Gebäude Am Wandrahm so alles entwickelt wurde („Von den 50-ern bis heute“). Teil zwei der Ausstellung bietet dann einen Einblick, was aus den abgegangenen StudentInnen geworden ist („Ehemalige Studierende der HfK Bremen“).
„Gesammeltes und Liegengebliebenes“ hat Haase zusammengetragen, vereinzelt auch Selbstproduziertes, Fotos, die Haase während seiner eigenen Studienzeit in den 60-ern an der damaligen „Staatlichen Kunstschule Bremen“ machte. Entstanden ist so ein vielschichtiges Sammelsurium verschiedener Gattungen, von der Werbe- und Modefotografie, über die Reportage bis zur künstlerischen, auch experimentellen Fotografie. Außerdem erzählt die Ausstellung von 40 Jahren Fotografiegeschichte, von der technischen Entwicklung des Mediums vom Korn zum Pixel, von der ästhetischen Entwicklung der Kunstform und von Kulturgeschichte: Nicht nur wie, sondern auch was die Studierenden fotografiert haben, ist Thema. Fotografiegeschichte ist auch Zeitgeschichte.
Aber nicht nur deshalb ist die Abteilung „Rückblick“ interessanter als das, was die FotografInnen heute produzieren: Den Arbeiten der Lehrjahre sieht man das Überschwengliche an, das Unfertige, die Lust am Subversiven, wenn ein Foto nicht nur eine Idee umsetzt, sondern auch auch ein bisschen weh tut: Die zwei Särge etwa, über denen ein unauffälliges, kleines Bild mit zwei spielenden Kindern hängt. Oder die Bremer Industriebrache, strikt auf ihre Linien hin betrachtet und ästhetisiert im Auftrag der Bildkomposition.
Ausgewogener, ausgereifter, aber auch glatter geht es zu bei den Ehemaligen, den Etablierten, die genau wissen, was sie machen. Sehr gut sind sie alle, sehr aufregend ist fast niemand. Hier ein nackter, bärtiger Kleinwüchsiger in Diven-Pose, da ein übervolles, überbuntes Kinderzimmer im Breitwand-Format: Fein berechnete Irritation oder perfekt inszenierte heile Welt. Bilder, die sich verkaufen.
Bilder, die aber in jedem Fall besser sind als das Plakat zur Ausstellung: Eine vollbusige „Wandrahm“-Studentin mit verträumt geschlossenen Augen und dem Namen des scheidenden Profs auf dem T-Shirt prangt derzeit von den Plakatwänden der Stadt. Peinlich, dass somit Haase angekündigt wird, obwohl es um seine Studenten geht. Noch peinlicher, dass sich der Foto- und Werbeprofi Haase in eigener Sache mit einem derart flachen, phantasiefreien Bildlogo zufrieden gibt. Klaus Irler
bis 29. September, Di 10 bis 21 Uhr, Mi-So 10 bis 17 Uhr. Begleitprogramm: www.bremen.de/info/focke . Ein Buch zur Ausstellung ist im Hauschild-Verlag erschienen und kostet 29 €
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