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Beach Boys erst ab 30 Grad

Was macht den Sommer cool? Teil 8: Die Übereinstimmung von Puls und Rhythmus. Denn: „Musik ist immer dicht dran an der menschlichen Physis“, sagt die Musikwissenschaftlerin Susanne Binas

Interview THOMAS WINKLER

taz: Der Sommer dröhnt. Welche Musik macht einen heißen Tag erträglich?

Dr. Susanne Binas: Das ist abhängig von der Frage, wo man sich befindet. Aber Klima und Sound stehen durchaus in einem Zusammenhang. Die Musik, die an heißen Badeorten gespielt wird, unterscheidet sich sicherlich von der, die in irischen Pubs gehört wird.

Was unterscheidet Reggae von Irish Folk?

Vor allem wie der Sound im Metrum gespielt und gehört wird. Die Erträglichkeit von Hitze hat viel mit unserem Blutdruck zu tun. Blutdruck, Herzschlag, Pulsation haben wiederum sehr viel mit Rhythmus, mit dem Metrum zu tun. Und da muss jeder für sich entscheiden, welche Pulsation er in der Hitze noch erträgt.

Platt gesagt: Wenn es heiß ist, hört man eher langsamere Musik?

Das würde ich so allgemein nicht sagen. Da ist jeder anders gebaut, nicht nur körperlich, auch kulturell. Aber natürlich ist auch was dran: Auf dem Dancefloor geht es heiß zu und in der Chillout-Zone geht es anschließend darum, das sagt ja schon der Name, diesen Erregungszustand wieder abzukühlen.

Sind die Auswirkungen von Temperaturen auf die Musikproduktion in bpm (beats per minute) messbar?

Das wäre mal eine interessante Forschungsaufgabe. Die gibt es aber meines Wissens nach noch nicht.

Hat das Empfinden, ob eine Musik kühlt oder aufheizt, nur mit Geschwindigkeit zu tun? Anders gefragt: Ist ein Saxofon immer cool?

Nein, ein Saxofon kann man auch völlig überhitzt spielen. Ein improvisierendes Sopransaxofon würde ich mir kaum anhören, wenn es draußen heiß ist. Das hat aber natürlich auch viel mit Image zu tun: Ein cooles Saxofon, Cool Jazz, das sind Imagekonstruktionen in einem bestimmten stilistischen System, in dem diese Konstrukte funktionieren. Innerhalb der Musikwissenschaften wird schon lange gestritten, ob es gewisse anthropologische Konstanten beim Musikkonsum gibt. Die Frage ist: Empfinden Menschen aus Nordafrika und die bereits erwähnten Iren einen bestimmten Rhythmus gleich? Diese Frage ist unbeantwortet, da streiten sich die Fraktionen. Aber eins ist sicher: Musik ist immer dichter dran an der menschlichen Physis als andere Kunstformen, als ein Bild zum Beispiel. Und vor allem in der Popmusik sind Pulsation und Körper sehr präsent und zentral.

Warum ist Cool Jazz cool?

Hm. Zum einen ist es sicherlich das Image, die Marketingstrategie, mit der bestimmte Begriffe für bestimmte Stilistiken gefunden werden und aufs Publikum zielen. Andererseits sind aber natürlich auch Sound und Rhythmus, wie Frequenzen gesetzt werden, wichtig. Genauso wichtig ist es aber auch für das körperliche Empfinden, wie sich der Musiker auf der Bühne bewegt, wie er im Lichtkegel steht, welche Accessoires er benutzt.

Es liegt also eher an Anzug und Sonnenbrille als an Tonfolgen und Instrumentierung?

Ich glaube schon.

Ist Fingerschnippen cooler als das Klicken eines Sequenzers?

Das ist immer eine Frage, wer das Fingerschnippen cooler findet und wer den Sequenzer.

Die eigentliche Frage ist ja: Ist der Mensch cooler oder eine Maschine?

Die Maschine ist ja nicht an sich kalt, die kann manchmal ziemlich heiß laufen. Der Begriff cool meint ja nicht mehr, als dass es in einem bestimmten stilistischen System positiv bewertet wird. Als die CD eingeführt wurde, war das Gejammer groß über das Ende des angeblich so warmen Klangs des Vinyls. Aus der digitalen Perspektive hieß es: Endlich ist das störende Geknister weg.

Hören sich die Beach Boys über 30 Grad im Schatten besser an?

Ich denke ja. Weil es die Beach Boys sind und der Diskurs nun mal so läuft, dass man sie in einem gewissen Zusammenhang eher hören sollte.

Welchen Musikfilm sollte man sehen, wenn man vor einem heißen Tag ins kühle Kino flüchtet?

Ogottogott, da gibt es zu viele.

Vielleicht den Defa-Klassiker „Heißer Sommer“ (1968) mit Frank Schöbel?

Ja, den würde ich mir gern einmal wieder ansehen.

Sind die vielen Open-Air-Konzerte die Krönung des Sommers oder eher eine sommerliche Plage wie Mücken?

Da muss ich persönlich werden. Ich empfinde sie bei großer Hitze eher als körperliche Plage. Ich gehe im Sommer nicht so gern ins Konzert.

Damit stehen Sie relativ allein. Sich zwischen tausende schwitzende Leiber zu klemmen, scheint momentan sehr cool zu sein.

Ja, es ist ja die Atmosphäre von Open Air, lauem Sommerabend, Bier, Körpern und Sound, die gefällt. Ich relaxe lieber in kühlen Räumen oder am Meer.

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