piwik no script img

„Lief alles human ab“

aus Lichtenhagen BASCHA MIKA

Sie erinnern sich alle. So, wie ich mich erinnere. Aber ihre Erinnerung ist anders. Die der meisten sogar ganz anders. Sie haben etwas anderes beobachtet, anderes gehört. Vor allem sehen sie die Dinge in einem ganz anderen Licht.

Zehn Jahre ist es her, dass in Rostock-Lichtenhagen eine Horde Skinheads ein Ende machen wollte mit dem Pack, dem rumänischen, das vor der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber auf der grünen Wiese lagerte, weil das Flüchtlingsheim überfüllt war, diese Zigeuner mit ihrem Dreck, ihrem Gestank, wo sich niemand mehr vorbeitraute, wo Katzen gegrillt und Mädchen genotzüchtigt wurden. Aufräumen wollten die jungen Kerle, deutsche Ordnung schaffen, Lichtenhagen ausländerfrei prügeln. Und zweitausend Anwohner feuerten sie an und spendeten Beifall.

Wissen Sie denn überhaupt, was damals los war mit den Zigeunern? Er ist Ende zwanzig und wohnt in der Nr. 15, einem der Häuser aus der endlosen Reihe Elfgeschosser, die bis heute das Wahrzeichen von Lichtenhagen sind. Haben auf der Wiese gelegen, sich vermehrt wie die Karnickel, im Supermarkt in die Regale gepisst, auf’n Boden gekackt und alles geklaut, was sie kriegen konnten. Müsste denen ’nen Flammenwerfer gleich auf'n Rücken schnallen.

Das gefährliche Gerümpel, das zehn Jahre in seinem Kopf gelagert war, quillt nun ohne Zögern heraus. Dieselben Worte, die damals in der gaffenden, klatschenden Menge allenthalben zu hören waren. Sorgsam konserviert, als hätten sie darauf gewartet, noch einmal Gehör zu finden.

Ist doch logisch, dass sich die Bevölkerung das nicht hat gefallen lassen damals. Sie trägt kurze graue Haare, die stämmige Mitfünfzigerin, und kommt aus der Nr. 16. Als es losging, hab ich vom Fenster aus zugesehen und alles fotografiert.

Damals war fünf Tage Volksfest für die Lichtenhagener. Die einen säumten mit Bier und Flachmann johlend das Schlachtfeld vor dem Sonnenblumenhaus, einem der Elfgeschosser am oberen Ende der Reihe, der seinen Namen einem Relief an der Giebelseite verdankt; darin lebten die Flüchtlinge und nebendran vietnamesische Vertragsarbeiter samt Familien. Die anderen bedienten sich ihrer privaten Logenfenster oder Balkone.

„Etwas musste passiern“

Und allen wurde was geboten! Dafür sorgten die Kämpfer für ein reines Deutschland mit ihren Attacken. Granitbrocken, abgegriffen von der nahen S-Bahn-Trasse, zischten durch die Luft, hagelten auf die Polizisten nieder, verwandelten den Platz in eine graue Steinwüste. Ein winziger Trupp schlecht ausgerüsteter Beamter sprang wie die Hasen, um den Steingeschossen zu entgehen. Die Staatsmacht – abgrundtief lächerlich.

Das war doch die Polizei, die vor zehn Jahren die Randale gemacht hat. Hat die Jungs vor sich hergetrieben. Dabei haben die doch nur rumgestanden und gegrölt. Er ist über 60, aus der Nr. 13 und zeigt ein dickes, entspanntes Gesicht. Das mit den Rumänen ging ja schon seit dem Frühjahr so. Es musste endlich was passiern, und die Politik hat sich nicht gekümmert.

„Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ Es brüllte aus hundert, dann aus tausend Kehlen, begann in der Mitte des Platzes, wo die Kurzgeschorenen sich zusammenrotteten, wurde aufgenommen von der Menge am Rand, dicht an dicht: „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“

Nein, das hab ich nicht gehört, sagt der Rentner aus der Nr. 14. Hab ja damals alles miterlebt von meinem Balkon. Die geklatscht haben, das waren doch bloß ein paar hundert, alles junge Arbeitslose. Und dann wurde die Unzufriedenheit der Bürger von der rechten Szene genutzt.

Angefangen hatte es Freitagnacht. Skinheadbanden wollten das Flüchtlingsheim stürmen. Die Anwohner peitschten die Jungmänner an, schlossen die Reihen, wenn die vor der Polizei abhauten, genossen es, die Staatsmacht ungestraft behindern und stören zu können. Mit einem Kordon versuchten die Beamten, das Sonnenblumenhaus und die Menschen darin zu schützen. Samstagabend und -nacht ging die Randale weiter.

Dann Sonntag. Die rechte Guerilla hatte Zulauf bekommen. Die Polizei blieb ohne Verstärkung. Noch immer säumten tausende Lichtenhagener den Schauplatz. Noch waren sie ja da, die Ausländer, verschanzt im Sonnenblumenhaus.

Nee, hier aus den Häusern war niemand dabei, niemand ist da rausgegangen und hat geklatscht. Die Frau ist dick, trägt eine dünn gestreifte Hose und wohnt in der Häuserzeile, die den Elfgeschossern gegenüber steht. Ham wir alles nur vom Fenster aus gesehen.

Krakeelen, Krachen, Kreischen, Martinshorn und Megafongebrüll. Lichtenhagen war ein Hexenkessel, die Stimmung unter den Anwohnern bestens. Wollten sie einfach zusehen, wie die Menschen in dem belagerten Haus totgeschlagen wurden vom rechten Mob? Wer es nur wagte, so zu fragen, riskierte, gelyncht zu werden.

Ich will jetzt nicht in die rechte Ecke gestellt werden, sagt der Mann in Badehose aus der Nr. 17. Aber wenn einer ’nen Arbeitsplatz hat und fliegt dann nach zwei Wochen wieder raus, weil so ein Ausländer den kriegt, dann passieren eben so komische Sachen.

Ein flüchtender Polizist, ein Haufen Glatzen jagte hinter ihm her. „Dieses Nazigesindel!“, fluchte der Beamte atemlos. „Das sind keine Nazis“, schrie einer der Anwohner, „das sind unsere Kinder.“ Seine Stimme überschlug sich. „Ganz normale Deutsche, die es mit den Ausländern hier nicht mehr ausgehalten haben.“

Ja, über die Randale wird geredet, sagt die strenge Mittfünfzigerin mit straff zurückgekämmtem Haar und Goldrandbrille aus der Nr. 14. Aber was vorher hier alles los war … Das fuchst mich schon, dass Lichtenhagen jetzt immer als das Beispiel für Fremdenfeindlichkeit dasteht. Das sind die Leute hier doch gar nicht. Das wurde doch alles von außen initiiert.

Sozialistisch erzogen

Montagnacht, das Fanal. Wieder nur ein kleiner Trupp Polizei, wieder die geifernde Menge. Die rechten Gesinnungstäter freuten sich über Verstärkung aus dem Rest der Republik. Hunderte Skins und Neonazis prügelten die wenigen Uniformierten in null Komma nichts mürbe. Die Polizei zog ab. Gab den Guerillakrieg verloren. Zwei Stunden war Lichtenhagen ein rechtsfreier Raum, dem rassistischen Mob ausgeliefert.

Meine Freundin und ich sind auch runtergegangen, Menschen sind nun mal schaulustig. Aber akzeptiert haben wir das nicht. Ich hab geschrien: Ihr blöden Schweine! Bis mir meine Freundin den Mund zugehalten und mich weggezogen hat. Nicht als Lichtenhagener, als Mensch muss man sich schämen, sagt die knapp vierzigjährige, blasse Frau. Sie wohnt dem Sonnenblumenhaus gegenüber, ihr Bruder ist zu Besuch.

Mich hat das an die Nazizeit erinnert. Ich selbst hab Angst gehabt. Und wer sich da alles auf die Seite der Rechten geschlagen hat – ich war geschockt. Wir sind doch mal sozialistisch erzogen worden.

Die Glatzen umzingelten das Sonnenblumenhaus und bildeten eine Reihe vor der Front. Einer mit schwarzer Bomberjacke, Baseballschläger unterm Arm, kramt gelassen sein Feuerzeug aus der Hosentasche, entzündet die Lunte an der Brandflasche, wirft, trifft ein Fenster, das Glas splittert, die Gardine kokelt, brennt. Der nächste Brandsatz fliegt, noch einer und noch einer.

Das reale Bild wird ja nicht gezeigt. Nur das brennende Haus, aber nicht das Betragen der Ausländer vorher. Sie wohnt in der Nr. 17 und steckt in einem geblümten Kleid. Das sind doch nur die Medien gewesen, die das alles aufgebracht haben, sonst hätte es doch niemand mitgekriegt. Seriöse Berichte gab's doch gar nicht.

Ein Teil der Bande stürmte ins Gebäude, in die unteren Wohnungen. Möbel flogen aus den Fenstern, krachten auf den Asphalt, barsten, splitterten. Das Haus brannte auf mehreren Stockwerken. Langsam wurde es still unter den Gaffern, viele verdrückten sich leise.

Die wollten doch damals nur ihre Wiese wiederhaben. Die Dame trägt einen roten Pulli und wohnt auf der anderen Straßenseite. Man hat uns ja allein gelassen mit diesem Problem. Und dann wurde es eben anders gelöst. Ich sage gelöst, denn das war's ja dann auch.

Ein Feuerwehrwagen tauchte auf und stoppte vor dem Sonnenblumenhaus. Sofort rannte ein Pulk Rechter heran, umstellte den Wagen, zog die Feuerwehrleute heraus und trieb sie unter Prügeln davon.

Natürlich hab ich Verständnis für die Bewohner hier. Ganz unschuldig waren sie ja vielleicht nicht, aber so froh, dass endlich mal was passierte, sagt die Blonde mit Pferdeschwanz aus der Nr. 12. Ich kenne hier niemanden, der sagt, er schämt sich.

„Nich mehr dran rührn“

Als die Brandstifter Montagabend das Gebäude stürmten, fanden sie einen Teil des Hauses leer. Am Morgen hatten die Behörden die Flüchtlinge heimlich weggebracht. Die Bande sah sich um ihre Beute betrogen. Aber die vietnamesischen Vertragsarbeiter waren ja noch da. Der Mob schwenkte um, die Hetzjagd begann.

Hab damals nachmittags mal ein bisschen zugeguckt, dann hab ich mich rausgetan. Es ging ja auch gar nicht gegen die Vietnamesen. Der Mann aus der Nr. 13 trägt Shorts, hinter ihm, an der Wand seines Flurs, hängt ein Schäferhund, goldgerahmt. Gegen die hatte ja niemand was, die sind wunderbar.

Mit Baseballschlägern jagten die Glatzen die vietnamesischen Familien durchs Treppenhaus. 120 Kinder, Frauen, Männer bedroht vom Feuer und blindwütigem Hass. Der Ausländerbeauftragte von Rostock war unter ihnen und ein Kamerateam des ZDF.

Lief doch alles ganz human ab, ist doch niemand zu Schaden gekommen. Seine Jogginghose ist grün und in der Hand hält er ein Rostocker Pils, als er seine Tür in der Nr. 13 öffnet. Es hat ja die Falschen erwischt. Die Asylanten waren ja schon alle weggeschafft, als das Haus brannte.

Die Flüchtenden brachen eine Gittertür auf, flohen übers Dach, dann hinunter ins benachbarte Treppenhaus. Sie hämmerten gegen tote Türen. Irgendwann, sehr spät, wurde ihnen geöffnet.

Jetzt wird die ganze Kacke nach zehn Jahren wieder aufgerührt, sagt der dürre Alte aus der Nr. 17. Sind ’n paar Leute übers Dach geflüchtet. Ja, und?

Die Randale ging noch Tage weiter, doch in der sechsten Nacht wendete sich das Blatt. Mehr als 900 Polizisten und Bundesgrenzschützer waren plötzlich zur Stelle, um zu beweisen, dass das staatliche Gewaltmonopol auch in Lichtenhagen gelten sollte. Von den Anwohnern hatte sich gegen Ende des Spuks kaum noch jemand blicken lassen. Als ihre eigenen Scheiben zu Bruch gingen, ihre Autos in Flammen standen, da hörte dann auch für sie der Spaß auf.

Möchte da nich’ mehr drüber reden, sagt in der Nr. 17 der grauhaarige Mann in Cordhosen. Wir haben so gelitten. Ich war Busfahrer und hab das jeden Tag erlebt. Das war alles von außen gesteuert. Aus ’m Westen. Und wir haben so gelitten. Es war so schrecklich, will da nich’ mehr dran rührn.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen