Lokale Mosaiksteinchen

Eine Lokale Agenda 21 als Tagesordnung für das 21. Jahrhundert ist schwer zu schreiben und noch schwerer zu vermitteln. Köpenick gilt als Vorreiter. Aber selbst dort ist ein langer Atem unabdingbar

von STEFAN ALBERTI

Es steht etwas verdeckt im Schlussdokument der UN-Konferenz von Rio de Janeiro, unter den vielen Abkommen zu Umwelt und Entwicklung, die über 100 Staats- und Regierungschefs damals unter dem Oberbegriff Agena 21 unterzeichneten. Eine kommunale Ausgabe dieses Aktionsplans für das 21. Jahrhundert, so lässt sich in Kapitel 28 nachlesen, soll jede Kommune schreiben, möglichst bis 1996 festlegen, wie auf örtlicher Ebene Zukunftsfähigkeit zu sichern ist.

Jochen Querengässer hatte 1992 anderes zu tun, als sich um UN-Dokumente zu kümmern. Rio, das sei ein Weltgipfel gewesen, interessant, aber weit weg von Berlin – „wir hatten hier ganz andere Probleme“. Von Bleistaub, Umweltsünden, belasteten Kindergärten erzählt er, der damals wie heute für PDS in der Bezirksverordnetenversammlung sitzt und zwischenzeitlich sechs Jahre Landesparlamentarier war. Für theoretische Diskussionen wäre vorerst keine Zeit geblieben.

Querengässer ist der Vorsitzende des Fördervereins Lokale Agena 21 in Treptow-Köpenick. Umweltpolitiker, Experten, die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, alle weisen auf den Bezirk. Schauen Sie sich Köpenick an, die waren schon sehr früh engagiert, die sind beispielhaft, bekommt immer wieder zu hören, wer wissen will, was Lokale Agenda 21 in Berlin heißen kann.

Der Weg dorthin führt in ein Ladenlokal in Alt-Köpenick, gegenüber der Laurentiuskirche und einem Eine-Welt-Laden, nicht weit vom Rathaus. Es ist eine Dreieinigkeit, die sich auf einem DIN-A4-Blatt wiederfindet, das Querengässer auf den Tisch legt. Ein Schema mit Dutzenden Kästchen und Verbindungslinien: Namen von Initiativen, Büros, Arbeitsgemeinschaften, Kooperationen, darunter eine oft zitierte Partnerschaft des Bezirks mit Cajamarca in Peru.

Es ist das, was als Köpenicker Modell gerühmt wird: ein Prozess, der in drei Säulen Verwaltung, nichtsstaatliche und kirchliche Gruppen in vielen Projekte vernetzt und immer wieder diskutieren lässt, wie die Zukunft des Bezirks aussehen soll.

Das Blatt mit den bunten Kästchen ist das Werk von neun Jahren. Ein Jahr nach Rio fand sich in Köpenick ein Aufruf zu einem öffentlichen Gesprächsforum, auf den Weg gebracht von Leuten aus kirchlichen Initiativen und Umweltgruppen. In den Kirchen war eine ähnliche Diskussion als „Konziliarer Prozess für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“ schon seit dem Evangelischen Kirchentag in Düsseldorf 1985 in Gang.

Dem ersten öffentlichen Aufruf 1993 folgten in Köpenick weitere öffentliche Foren, acht Gruppen bildeten sich zum Thema Umwelt und Entwicklung. Als Anlaufstelle diente ein Agendabüro beim Umweltamt, bis 1996 der Förderverein entstand. Ihn sieht Querengässer nur als Anstoßgeber, nicht als Zentrale, die Vorgaben macht.

Dem Köpenicker Bezirksamt – Treptow kam erst nach der Bezirksfusion 2001 dazu – sei die Sache anfangs zu komplex erschienen, sagt Querengässer. Als die ersten Agenda-Engagierten aber nicht nachließen, stieg auch die Verwaltung mit ein, befasste sich schließlich auch die Bezirksverordnetenversammlung mit der Sache und trug dem Bezirksamt auf, bis 1996 eine Lokale Agenda vorzulegen. Mehrere Arbeitsentwürfe sind bisher entstanden: Bestandsaufnahmen, Zielbeschreibungen und Maßnahmen dazu. Solarbezirk soll Treptow-Köpenick etwa werden, steht etwa darin, entsprechende Projekte durch ein Umwelt-, Bau- und Solarzentrum anregen.

Experten verziehen immer ein wenig das Gesicht, wenn ihnen einer den Agendaprozess allein mit Umweltschutz gleichsetzt. Soziale Gerechtigkeit, Wirtschaft und Ökologie zu verbinden ist die Grundidee. Denn Umweltgruppen und Kirchengemeinden, die nach der Messe Eine-Welt-Produkte verkauften, gab es schon lange vor Rio.

„Nachhaltige Entwicklung“ war der zentrale Begriff von Rio, eine etwas sperrige Übersetzung von „sustainable development“, geprägt von der früheren norwegischen Ministerpräsidentin Brundtland. „Ich rede lieber von Zukunftsfähigkeit“, sagte Querengässer, Nachhaltigkeit sei zu wenig griffig – und auch entwertet, wenn Aktiengesellschaften von nachhaltiger Umsatzsteigerung reden würden.

Querengässer hat etwas Idealistisches an sich, wenn er von seinen Visionen erzählt – „ich spinne jetzt einfach mal ein bisschen“, sagt er dazu. Warum könnten nicht arbeitslose Ingenieure in Berlin umweltschonende Apparaturen für Partner im Ausland produzieren und installieren? Das helfe dort und bringe hier die Leute in Arbeit.

Nicht weit vom Büro des Vereins in Alt-Köpenick steht eine Solartankstelle, die Boote eines von Umweltinitiativen gelobten Wassertaxiunternehmens tanken dort auf. Querengässer mag gar nicht viele Worte darüber verlieren. Ein Mosaiksteinchen ist das für ihn, eins, wie wir sie seit Jahren für ein solides Fundament sammeln.“ Projekte würden vor allem der Motivation auf dem langwierigen, diskussionsreichen Weg zum großen Ziel dienen, sagt auch die grüne Umweltexpertin Felicitas Kubala.

Nächsten Samstag kommt bei einem Agenda-21-Fest in der Köpenicker Altstadt wieder ein Mosaiksteinchen hinzu. Der Bürgermeister soll dabei der Bevölkerung einen weiteren Agenda-Entwurf symbolisch übergeben. Verbindlich ist auch der noch nicht. Die Bürger sollen ihn diskutieren, die Bezirksverordnetenversammlung 2004 beschließen, hofft Querengässer. 2004? In zwei Jahren erst? „In diesem Prozess müssen Sie eben einen langen Atem haben.“