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Die neuen Herren wollen Authentizität

Mit Gastspielen der großen Tanz-Compagnien dieser Welt erwarb sich das kleine Kunstfest Weimar einen überregionalen Ruf. Vom kommenden Jahr an soll alles origineller, aber nicht unbedingt besser werden

Hier soll ein Original entstehen – mit „Faust“ und Griechenland in der Moderne

Auf dem Weimarer „Elefanten“-Parkplatz schrubbt einer seine grüne E-Gitarre. Die Sonne brennt, man trinkt Colabier, und der Mann auf der Bühne sieht aus wie Bernd Kauffmann. Aber nur aus der Ferne. Bernd Kauffmann ist nämlich nicht da – nicht nur hier auf dem Parkplatz des Traditionshotels, überhaupt nicht in Weimar. Der exzentrische Chef der Kulturstadt inszeniert seit einem Jahr Sparkassenkultur vor den Toren Berlins. Auf dem „Elefanten“-Parkplatz also spielt der Blues. Unter dem Nachfolger nämlich, Interimsintendant Ralf Schlüter, wird das Weimarer Festival in diesem August zu Grabe getragen.

Von den Plakatwänden starren nackte, gefesselte Füße – dies seien die Kauffmann’schen, sagt das Gerücht. Und wahrhaftig: Nichts wohl wäre den Nachkommen, die ab 2003 das Kunstfest betreuen, unangenehmer als die Rückkehr dieses Herren. Noch aber tobt in Weimar die Trauerfeier unter der Ägide des Interimschefs Ralf Schlüter: das Kunstfest 2002. Mit Gesang, mit Spiel und Tanz, mit Tom Sharpville und Postel & Pötsch hinterm Hotel. Ralf Schlüter scheint zu wissen, wie man den väterlichen Geist noch ein wenig am Leben erhält.

Vor allem mit den großen Tanz-Compagnien aus aller Welt. Damit nämlich erwarb sich dieses kleine Sommerfestival in der großen Provinzstadt seinen Ruf. Einen zwiespältigen Ruf. Helmut Seemann zumindest, Präsident der Stiftung Weimarer Klassik und einer der Nachkommen, spricht despektierlich von einer „Abspielstätte reisender Produktionen“. Vielleicht, weil die New Yorker Tanzcompagnie um Elisa Monte, weil „Lanonima Imperial“ aus Barcelona ziemlich dick auftragen. Oder weil Marie Chouinard mit ihrer Compagnie aus Montréal schon seit über zehn Jahren durchs globale Sommertheater tourt. Weil das Ballet Gulbenkian nicht Innovation, sondern großes Theater bietet. Großes Theater nicht nur, aber auch für die Provinz zwischen Mannheim und Dresden, und für Thüringen allemal.

Seit ein paar Jahren also reist die Welt durch das kleine Weimar und zeigt vier Wochen lang Schönheit und Leidenschaft. Also kommen die Leute von weit her, aus Sömmerda, aus Leipzig oder auch mal aus Berlin, freuen sich am imposanten Spielort-Himmel der Viehauktionshalle und setzen sich selbst noch dorthin, wo es durchregnet. Und auch die Tanz-Compagnien kommen. Aus Genf, aus New York, aus Tel Aviv, weil in Weimar selbst der Szenenapplaus noch frenetisch ist – auch dann, wenn die Schau mal nicht so toll war.

Auch Shakespeare und Molière zogen gern durch die Provinz. Nicht zufällig bringt dies gerade Weimars einziges modernes Heimattheater, das Theaterhaus, im Umkehrschluss auf den Punkt. Mit seinen Produktionen von „Odyssee_Lab“ über „Schlaf“ bis zu den „Poetniks“ nämlich gehört das agile Theaterhaus Weimar selbst zu den reisenden Produktionen zwischen Krakau, Düsseldorf und dem Berliner Podewil.

Das Theaterhaus also reist in die Großstädte – beim Weimarer Kunstfest-Sommer hingegen gehört die Inszenierung zu den wenigen Programmpunkten vor halb leeren Rängen. So ist das. Dabei treibt das vierköpfige Ensemble um Janec Müller mit seiner Inszenierung der „Poetniks“ die Trauerfeier um Weimars Kunstfest ironisch-poetisch auf die Spitze. Held des Trauerspiels nach Alfred de Vigny nämlich ist ein Ort namens Süßenborn. Doch was dem Berliner Podewil-Publikum noch als gelungene Metapher für deutsches Leid zwischen Lebensborn und Bornholm erschien, das kennt der Weimarer als echtes Einkaufszentrum vor den Toren der Stadt. Ein Durchgangsort mit Teppichparadies und Baumarkt. Aber Süßenborn mit seinem „sentimentalen Mittelstand“ und dem Faible fürs Tanztheater ist am Ende. Zumindest für die Poetniks. Abgeschrieben nach sechs Jahren – nun beginnt die Trauerveranstaltung: „Ich mach hier mal ’ne Ansage.“ Das ist ein wunderbares Spiel aus Kleinstadtpoesie und Verbraucherinformation, großen Gesten und einem Zitatenschatz aus dem Supermarkt. Mittendrin im ewigen Tanz erfreut sich dieses Stück ganz allein an dem schönen, spröden Satz des scheidenden Interimsintendanten Ralf Schlüter: „Der Festivalbetrieb ist eine Folie. Auf ihr ist abzubilden, was in der Kunst aktuell geschieht. Nicht viel mehr, keinesfalls weniger.“

Nichts wäre den fünf neuen Herren des Weimarer Kunstfestes fremder als dieses. Aus dem Kultur-Simulacrum soll nämlich künftig das Original erstehen. Und so wird im nächsten Jahr wohl alles anders. Mit einem neuen Beirat, mit einem aufgestockten Etat, mit Weimarer Kunst und einem neuen Weimarer Kunstfest. König Kauffmann ist tot, den Kronprinzen Schlüter hat das Weimarer Triumvirat hinweggefegt und will ab 2003 „Kultur an den historisch authentischen Orten erleben“.

„Wir müssen Weimar als Komplex entwerfen“, so lautet das Motto erst einmal ganz unironisch: mit einem deutschen „Faust“ und einer großen Ausstellung über Griechenland in der Moderne. Da lacht der väterliche Leichnam fröhlich, und Süßenborn winkt von weither.

FRITZ VON KLINGGRÄFF

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