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Der Feuerflüsterer

Flammende Herzen, brennende Wälder: In seinem Roman „Feuerspringer“ macht Nicholas Evans einen amerikanischen Feuerwehrmann zum Helden und gerät so in den Sog des 11. September

Wie nahe man dem Feuer auch kommt, man muss zu seinen Gefühlen stehen!

von KOLJA MENSING

Es beginnt mit einem Blitz. In einer mondlosen Nacht schlägt er auf dem Snake Mountain in den toten Stamm einer Kiefer ein. Flämmchen züngeln den Stamm entlang, Steine lösen sich und fallen prasselnd in den Wald hinab. Ein Elch schreckt auf, ein Wolf erstarrt im Schatten des Gebüsches. Dann ist es wieder still. „Der einzige Hinweis auf das, was geschehen war und noch kommen sollte, war der Rauch, der sich sacht aus dem verkohlten Stamm der Kiefer kräuselte.“

Der Blitz, der in dieser Nacht in den Bergen von Montana „nach Tagen gnadenloser Hitze“ eingeschlagen hat, ist die Initialzündung von Nicholas Evans’ „Feuerspringer“, nach „Der Pferdeflüsterer“ und „Im Kreis des Wolfes“ der dritte Roman des Bestsellerautors. Selbst wenn die Welt am nächsten Morgen gemäß den Regeln des Genres noch „unverändert scheint“, so schwelt doch bereits „das Feuer auf dem Snake Mountain, das so viele Leben verändern“ soll. Das Schicksal ist auf den Weg gebracht.

Jedes Jahr im Sommer melden sich die beiden Freunde Ed und Connor in Montana als Freiwillige für den Kampf gegen die Waldbrände. Sie gehören zu den smoke jumpers, einer Elitetruppe der amerikanischen Feuerwehren. Mit einem Fallschirm lassen sie sich von einem Hubschrauber inmitten eines Brandgebietes absetzen, um mit Axt und Kettensäge Schneisen in den Wald zu schlagen. Es ist eine Art Abenteuerurlaub, den Ed und Connor auf diese Art und Weise regelmäßig im Herzen Amerikas verbringen. Doch in diesem Jahr ist alles anders. Eds neue Freundin Julia verbringt den Sommer ebenfalls in Montana, und mit dem Blitz, der in die Kiefer auf dem Snake Mountain einschlägt, entbrennt ihr Herz für Connor …

Von der Flammenhölle in den Bergen Montanas, vor der Nicholas Evans gewohnt bilderstark seinen melodramatischen Roman entfaltet, führt eine Brandspur weit zurück in die Natur- und Kulturgeschichte des Kontinents. Waldbrände sind seit je fester Bestandteil der nordamerikanischen Landschaft und garantierten angesichts der dichten Wälder und der ungeheuren Biomasse, dass die Natur sich immer wieder erneuern konnte. Feuer erschafft die Welt: Die amerikanische Vegetation wurde durch die jährlichen Flächenbrände entscheidend geprägt – und auch die Ureinwohner Amerikas machten sich das Feuer zunutze. Sie legten Brände, um bei der Jagd Tiere aus dem Unterholz zu treiben oder Waldflächen zu roden.

Der Historiker und Biologe Stephen J. Pyne hat in seinem Buch „Fire in Amerika“ die Kulturgeschichte des Waldbrandes zum ersten Mal zusammenhängend erzählt. Er weist darauf hin, wie sich mit der europäischen Besiedlung des Kontinents der Umgang mit dem Feuer entscheidend veränderte. Die Siedler brachten aus der alten Heimat die Überzeugung nach Amerika, dass das Feuer die Zivilisation bedrohe. Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein verfeinerte man Löschtechniken und Frühwarnsysteme unter der Vorgabe des „Feuer aus“. Erst Ende der Achtzigerjahre, nach der verheerenden Brandkatastrophe im Yellowstone-Nationalpark, die gleich zu Beginn in Evans’ Roman erwähnt wird, kam es zu einem Paradigmenwechsel: Fire management heißt die aktuelle Strategie, die die ökologische Funktion des Feuers berücksichtigt und Waldbrände innerhalb eines bestimmten Rahmens duldet.

Trotzdem erleben die USA jährlich im Sommer wieder ihren Katastrophenfilm, wenn sich wie vor einigen Wochen bei Show Low in Arizona die Brände auf Dörfer und Städte zubewegen. Zu sehr ist das ökologische Gleichgewicht gestört, und folgerichtig hat im „Feuerspringer“ einer der wenigen unsympathischen Menschen dann auch geschäftlich „mit der Umleitung von Flüssen und dem Abholzen großer Waldgebiete zu tun“.

Männer wie Ed und Connor werden dagegen seit Jahren vom jeweiligen Präsidenten zu Helden erklärt. Die Verehrung dieser modernen Pioniere weckt Erinnerungen an die amerikanische Gründungslegende von der Eroberung des Westens: als Trapper wie Daniel Boone zu Legenden wurden, weil sie Breschen in die wild frontier schlugen und so der amerikanischen Zivilisation den Weg bereiteten.

Zuletzt nahm sich auch die amerikanische Kulturindustrie der Figur des Feuerwehrmanns an. 1997 zum Beispiel kam der Katastrophenfilm „Brennendes Inferno“ in die Kinos, in dem zwei Feuerspringer zunächst einen Waldbrand und später eine ganze Bande von Verbrechern bekämpfen. Richard Ford – eher ein gebrochener Patriot – hatte in seinem 1990 erschienenen Roman „Wildlife“ vor dem Hintergrund eines Waldbrandeinsatzes in knapper Form ein klassisches Thema der amerikanischen Literatur inszeniert: Ein schwacher Vater möchte sich seiner Frau und seinem Sohn gegenüber beweisen und meldet sich als freiwilliger Helfer für riskante Löscharbeiten. Nicholas Sparks erzählte zehn Jahre später in „Das Schweigen des Glücks“ eine Romanze rund um einen verschlossenen Feuerwehrmann, der bei immer gefährlicheren Einsätzen „die Dämonen der Vergangenheit“ zu vergessen versucht: Sein Vater starb vor vielen Jahren, als das Haus der Familie niederbrannte.

Nicholas Evans setzt nun mit „Feuerspringer“ die Arbeit am Mythos des amerikanischen Feuerwehrmanns fort. Es ist der Waldbrand, der die drohende Beziehungskatastrophe in Montana gerade noch verhindert: Julia gerät in ein brennendes Waldstück, und Ed und Connor müssen sie in einer dramatischen Aktion gemeinsam retten. Ed verliert sein Augenlicht und heiratet Julia, die von ihrem schlechtem Gewissen geplagt wird, und Connor beschließt, ein neues Leben zu beginnen. Das Schicksal schlägt kräftig zu – und das ist erst die Hälfte des Romans.

„Feuerspringer“ erschien im August vergangenen Jahres in den USA. Im September 2001, kurz bevor alle Welt auf die brennenden Trümmerhaufen des World Trade Center in New York schaute und die amerikanische Nation ihre jüngste Feuertaufe erlebte, hatte Evans noch in einem Interview voller Unschuld die Faszination erklärt, die sich für ihn mit einem Flammenmeer verbindet: „Wenn man durch das Feuer geht, ist man hinterher möglicherweise ein besserer Mensch.“

Ignis res mutat: Die Welt, sagt man, ist nach den Anschlägen in New York und Washington nicht mehr dieselbe. Nicholas Evans auf jeden Fall ist mit seinem Roman und seinen Vorstellungen von der kathartischen Kraft einer Feuersbrunst in den Sog der Ereignisse vom 11. September geraten. Genau wie Bruce Springsteen in seinem Song „Into the Fire“ oder die Autoren und Zeichner der jüngsten Marvel-Comics, in denen der Anschlag auf das Word Trade Center aufgenommen wird, stilisiert Nicholas Evans seine beiden Feuerwehrmänner zu tragischen Helden.

„Die wichtigen Dinge im Leben geschehen nie zufällig“, das weiß auch Evans’ freiwilliger Feuerwehrmann Connor. Nachdem er Julia gerade noch aus den Flammen retten konnte, gibt er seine Passion für gewagte Löscheinsätze auf. Connor besucht nun (und Nicholas Evans ist ein Meister darin, noch die merkwürdigsten Entwicklungen seiner Figuren vollkommen plausibel erscheinen zu lassen) als Fotoreporter verschiedene Krisengebiete der Neunzigerjahre: Bosnien, Ruanda, Uganda.

Auch jenseits der unfreiwilligen Aktualität – in die nach dem 11. September ja unter anderem auch Arnold Schwarzeneggers Film „Collateral Damage“ mit seiner Hauptfigur eines heldenhaften Feuerwehrmanns geraten war – hat Nicholas Evans also ganz bewusst den Weg über das Waldbrand-Szenario in Montana hinaus gesucht. Aus dem Waldbrand ist der Weltenbrand im ausgehenden 20. Jahrhundert geworden, und der Fokus des Romans verlagert sich in der zweiten Hälfte vom fire management in den Wäldern Montanas zu den Einsätzen der UN-Truppen, die von New York aus wie eine globale Feuerwehr zu den ethnischen Brandherden in aller Welt entsandt werden.

Aus dem Waldbrand wird der Weltenbrand des ausgehenden20. Jahrhunderts

Noch einmal sieht Connor, wie der Himmel sich über einem gewaltigen Flammenmeer glutrot verfärbt. Jetzt brennen Städte, keine Wälder. Die gesamte Dramaturgie von Nicholas Evans’ Roman beruht auf dieser schlichten Gleichsetzung einer kriegerischen Auseinandersetzung mit einer Naturkatastrophe. Die Moral, die sich daraus ergibt, ist ebenso einfach: Wie nahe man dem Feuer auch kommt, man muss zu seinen Gefühlen stehen!

In Amerika wird man das in Zeiten wie diesen, in denen patriotische Gefühle wieder hoch im Kurs stehen, gerne lesen. Und während die Fernsehbilder der schwelenden Trümmerhaufen bei Ground Zero noch einmal an der Nation vorüberziehen und entlang der Achse des Bösen in Afghanistan, Irak oder anderswo Gegenfeuer gelegt werden, wird man ebenso gerne Nicholas Evans’ Figuren auf ihrem Weg zurück in die private Idylle begleiten. Der Roman endet dort, wo er begonnen hat, in den Bergen Montanas. Wie in „Der Pferdeflüsterer“ und „Im Kreis des Wolfes“ wird die Natur im „Feuerspringer“ zuletzt wieder zu dem Ort, an dem die zivilisationsbeschädigten Menschen zu sich selbst finden. Man kann schließlich nicht sein Leben lang durchs Feuer gehen.

Die Brände des Sommers sind gelöscht, der Rauch hat sich verzogen. Es ist ein klarer Wintermorgen, und zwei Collies toben durch den Schnee, der in der Nacht gefallen ist. Natürlich ist der Funke zuletzt noch übergesprungen. Julia und Connor haben endlich zueinander gefunden, und, siehe, neues Leben entsteht: „Connor legte seine Hand auf ihren gewölbten Bauch und küsste sie.“

Eigentlich ist es merkwürdig, dass ausgerechnet Nicholas Evans sich für solche Szenen aus dem Herzen Amerikas zuständig fühlt – ein Engländer, der als Kind Wild-West-Geschichten las, als Student mit dem Greyhound-Bus durch die USA reiste und das Land ansonsten vor allem von Recherchereisen durch Montana kennt. Doch so geht es zu in dem die ganze Welt umspannenden Reich der Verlagsgruppe Random House bzw. Bertelsmann, in dem sich Nachrichten von einem „neuen Evans“ wie ein Lauffeuer verbreiten.

In diesem Reich sind wir alle Amerikaner.

Nicholas Evans: „Feuerspringer“. Aus dem Amerikanischen von Kristian Lutze. C. Bertelsmann Verlag, München 2002, 476 Seiten, 24,90 €

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