: Disziplinierte Häftlinge
Laut Senat missbrauchen Strafgefangene in weniger als ein Prozent aller Fälle ihre Vollzugslockerungen. GALier Mahr: Kurswechsel in der Justizpolitik notwendig
Mit der Begründung, Freigänge von Strafgefangenen seien eine Gefahr für die Bevölkerung, hat Jusitzsenator Roger Kusch (CDU) wiederholt angekündigt, Vollzugslockerungen in Hamburger Gefängnissen restriktiver zu gewähren. Deshalb sollen sogar Häftlinge aus der Freigängeranstalt Neuengamme nach Fertigstellung des Neubaus in Billwerder dort in geschlossene Abteilungen zurückverlegt werden: Aus der Antwort auf eine kleine Senatsanfrage des GAL-Abgeordneten Manfred Mahr ergibt sich nun, dass diese Politik Kuschs jeglicher Grundlage entbehrt: Weniger als ein Prozent aller Vollzugslockerungen werden von den Häftlingen missbraucht.
„Missbrauch“ einer Lockerung bedeutet nicht, dass der Gefangene eine neue Straftat begeht: Auch eine verspätete Rückkehr zählt bereits dazu. Mahr hatte die Zahlen für die offenen und die geschlossenen Anstalten abgefragt. Demnach haben im vorigen Jahr im offenen Vollzug Gefangene in 0,67 Prozent der Fälle eine Lockerung missbraucht. Bei insgesamt 32.642 Vergünstigungen ist es 219 Mal vorgekommen, dass ein Insasse zu spät oder gar nicht von seinem Ausgang zurückgekehrt ist. In diesem Jahr waren es bisher 0,66 Prozent.
Noch geringer sind die Zahlen im geschlossenen Vollzug: Bei nur 0,22 Prozent aller Lockerungen wurden diese von den Insassen 2001 ausgenutzt, in diesem Jahr bei nur 0,16 Prozent. „Wenn sich der Senator nicht den Vorwurf der ideologischen Uneinsichtigkeit machen lassen will“, sagt GALier Mahr, „ist jetzt ein konsequenter Kurswechsel angesagt.“
Danach sieht es im Moment allerdings nicht aus. Im Gegenteil wird die Praxis der Vollzugslockerungen verschärft. So hat Kusch beispielsweise jüngst in seinem Konzept zur Bekämpfung von Drogenmissbrauch hinter Gittern verfügt, dass Drogenfunde bei Insassen mit der Streichung von Haftvergünstigungen bestraft werden sollen. Und Behördensprecher Kai Nitschke bestätigt, dass die Haftplätze im offenen Vollzug abgebaut werden, weil es in Hamburg im Vergleich zum Bundesdurchschnitt „zu viele Haftplätze im offenen und zu wenige im geschlossenen Vollzug gibt“.
Laut Mahr soll sich nicht nur die Praxis der Vollzugslockerungen, sondern, vor allem im Jugendknast Hahnöfersand, die gesamte Strafhaft verschärfen. Seiner Kenntnis nach wird das Anti-Aggressionstraining für Gewalttäter beendet. Behördensprecher Nitschke bestätigt, dass zurzeit nicht seine Behörde, sondern ein gemeinnütziger Verein das Training finanziert. Der Grund sei allerdings nicht politischer, sondern bürokratischer Natur: Für den Trainer müsste ein neuer Arbeitsvertrag aufgesetzt werden. Nitschke geht davon aus, dass die Jusitzbehörde „das Anti-Agressions-Training fortführen will“.
ELKE SPANNER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen