: Lügen zu verkaufen
Der Regisseur als Objekt: Jean-Luc Godards „Le Mépris – Die Verachtung“, ein Film über Abhängigkeiten von der Filmindustrie, kommt wieder ins Kino
von CLAUS LÖSER
Drehbuchautor Paul Javal (Michel Piccoli) hat ein Appartement gekauft, kann die Raten nicht bezahlen und dient sich deshalb dem amerikanischen Filmproduzenten Prokosh (Jack Palance) an. Fritz Lang dreht in dessen Auftrag gerade eine eigenwillige, vermutlich völlig unverkäufliche Odyssee-Variante. Durch die Eingriffe Javals ins Drehbuch soll das Projekt doch noch marktgerecht formatiert werden. In dem Moment, da dem Opportunisten ein erster Scheck ausgehändigt wird, verliert er die Achtung seiner Frau Camille (Brigitte Bardot). Sie verweigert fortan den Beischlaf. Zwischen dem Paar steht zudem der destruktive Verdacht, Javal würde es billigend in Kauf nehmen, wenn Prokosh mit Camille eine Affäre einginge. Ob diese Beziehung wirklich stattfindet oder nicht, bleibt offen. Camille und Prokosh verunglücken im Wagen des Produzenten. Lang setzt die Arbeit an seinem Film fort. Javal bleibt allein zurück.
„Als ich ‚Le Mépris‘ begann, fand ich die Situation ein bisschen schematisch und ein bisschen zu sehr Karikatur. Nun hat ausnahmsweise der Film auf das Leben abgefärbt. Alle Punkte der Erzählung wurden, einer nach dem anderen, in der Realität verwirklicht“, konstatierte Godard 1964. Tatsächlich scheint es einige Analogien zwischen gelebtem und gefilmtem Leben in „Die Verachtung“ zu geben. Dennoch wäre es falsch, den Film als Dokument eines persönlichen Scheiterns zu interpretieren oder als individuelles Protokoll der Unvereinbarkeit von Ideal und Realität. Der Film stellt auch keine Umsetzung des Oscar-Wilde-Aphorismus vom Leben als Imitation der Kunst dar. Vielmehr muss er als Selbstversuch gelesen werden, als praktische Vergegenwärtigung theoretisch bekannter Mechanismen, damit als Experimentalfilm im eigentlichen Sinne des Wortes. (Michel Piccoli berichtete, er habe bei den Dreharbeiten Jean-Luc Godards Hut, Krawatte und sogar Schuhe tragen müssen.) Der Regisseur fungiert in dieser Versuchsanordnung gleichzeitig als Subjekt und Objekt, als These und Antithese. Der Spross aus gutbürgerlichem Hause war sich der Ambivalenz des Geldes bewusst. Sein Verhältnis zu Filmproduzenten verglich er einmal mit dem zu seinem Vater: Immer, wenn er Geld wollte, wurde ihm dies nach Darlegung des Verwendungszwecks ausgehändigt. Oder eben nicht.
Produzent Carlo Ponti hatte 1954 Fellinis „La Strada“ auf den Weg gebracht und versuchte nun, Godard auf dem internationalen Parkett als neues Genie zu etablieren. Die Starbesetzung mit Piccoli, Bardot, Lang und Palance ermöglichte ihm eine Vorfinanzierung aus den USA. Mit einem seinerzeit stattlichen Budget von 2 Millionen Dollar fand sich Godard in ganz neuen produktionstechnischen Dimensionen. Doch wie Prokosh im Film gegenüber Lang, zeigten sich die amerikanischen Geldgeber entsetzt von Godards filmischen Visionen, zwangen ihn zu Nachaufnahmen. Wenigstens sollte Brigitte Bardot hin und wieder nackt zu sehen sein. Godard erklärte sich zum ersten und letzten Mal kompromissbereit. Die nachträglich eingefügten Szenen am Anfang und in der Mitte des Films sind erkennbar. Merkwürdigerweise arbeiten sie in ihrer Diskontinuität der Eleganz von „Le Mépris“ noch zu. Eines der Wunder dieses Films besteht in dem Umstand, eine ganze Reihe von scheinbar unvereinbaren Widersprüchen in sich zu brechen, dabei aber schwerelose Schönheit zu verströmen. Vor allem Raul Coutards Cinemascope-Kamera (laut Fritz Lang ideal für Schlangen und Begräbnisse geeignet) erzeugt eine tranceartige Gesamtstimmung. Diese konnte freilich nicht verhindern, dass sich die Kinoauswertung von „Le Mépris“ zum Flop ausweitete. Genau so, wie Fritz Langs Odyssee-Adaption trotz aller Eingriffe an der Kasse gescheitert wäre.
„Es kommt die Zeit des verächtlichsten Menschen, der sich selber nicht mehr verachten kann“, prophezeite Nietzsche. Godard brachte in seinem sechsten Spielfilm nichts anderes als seine Verachtung sich selbst gegenüber zum Ausdruck, bannte damit gleichzeitig die Gefahr seiner künftigen Prostituierung gegenüber der Industrie. Indem er genau dieses Abhängigkeitsverhältnis inszenierte. „Die Verachtung“ ist nicht mehr und nicht weniger als ein Exerzitium gegen die Versuchung, „auf den Markt zu gehen, wo Lügen gekauft werden“. Dieses Brecht-Zitat legt Godard dem verehrten Fritz Lang in den Mund. Lang selbst (der in Hollywood ja versucht hatte, mit Brecht zu arbeiten) war zum Zeitpunkt von „Le Mépris“ weit entfernt von einem würdevollen Alterswerk. Drei Jahre vorher hatte er sich für Arthur Brauner zu seinem letzten Film, einem albernen Remake von „Der Tiger von Eschnapur“, verdingt.
„Die Verachtung“. Regie: Jean-Luc Godard. Mit Michel Piccoli, Brigitte Bardot, Fritz Lang u. a., Frankreich 1963, 103 Min.
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