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Neue Datenbanken

In Straßburg rüsten die Staaten des Schengener Abkommens ihren zentralen Polizeicomputer hoch

Seltsames passierte Ende Juli in der rue de la Faisanderie im Straßburger Vorort Neudorf. Mit quietschenden Reifen hielten zahlreiche Autos in dem ruhigen Villenviertel. Menschen mit bunten Overalls stiegen aus, in den Händen hielten sie Laptops und allerlei undefinierbare Gerätschaften, mit denen sie, begleitet von einem Medienpulk, den Boden abtasteten. Missmutig beobachtet wurde das Schauspiel von einer Kette französischer Polizisten, die die kleine Straße vollständig abgesperrt hatten. Aufgeregte Nachbarn diskutierten, ob hier wohl eine Umweltverschmutzung großen Stils aufgedeckt werde.

Als sie vom Anlass des ungewöhnlichen Treibens erfuhren, gingen sie allerdings wieder beruhigt in ihre Häuser. Denn bei der Aktion handelte es sich um künstlerische Performance, um auf den Zentralcomputer des SIS aufmerksam zu machen. Von dem fühlen sich die BewohnerInnen des gutbürgerlichen Straßburger Stadtteils kaum bedroht. Die Abkürzung SIS steht für „Schengen Informations System“ und bezeichnet ein staatenübergreifendes, computergestütztes polizeiliches Fahndungssystem, das in den Schengen-Vertragsstaaten den Onlinezugriff auf mehr als 9,5 Millionen Fahndungsdaten ermöglicht. Meist sind es Datensätze von ausgewiesenen oder zur Ausweisung ausgeschriebenen Flüchtlingen. Auch ungefähr 750.000 Personen, denen die Einreise in die Schengen-Staaten verweigert wird, sind dort gespeichert. Die Aufenthaltsermittlung zur Beobachtung und gezielten Kontrolle von Personen gehört ebenso zu den Fahndungskategorien des SIS wie die Suche nach gestohlenen Kraftfahrzeugen, Anhängern und Wohnwagen sowie von Schusswaffen, Blankodokumenten und Banknoten.

Folgen des 11. September

Wenn in einem Schengen-Mitgliedsstaat Daten über so genannte grenzüberschreitende Kriminalität eingegeben werden, können die über den Zentralcomputer von den Polizeibehörden aller Schengen-Mitglieder abgerufen werden. Zurzeit werden die Kapazitäten des SIS auf verschiedenen Ebenen ausgeweitet. So wird an der Integration der nordeuropäischen Staaten in dieses Überwachungssystem gearbeitet. Künftig soll das SIS-Einzugsgebiet von Island bis zum Mittelmeer und vom Atlantik bis zur polnischen Grenze reichen.

Längst sind nicht mehr nur Flüchtlinge im Visier des Supercomputers. Die grenzübergreifenden Aktivitäten von Globalisierungskritikern und die Anschläge vom 11. September haben die Fahndungskriterien erweitert. Eine Datenbank für „gewalttätige Unruhestifter“ soll eingerichtet werden. Die sollen zu bestimmten Zeiten von Reisen in bestimmte Gegenden abgehalten werden. In den letzten Jahren bekamen Personen, die bei Polizeikontrollen erfasst wurden, für die Zeit eines EU- oder Weltwirtschaftsgipfels Einreiseverbot in das jeweilige Land.

Damit diese Maßnahmen effektiver umgesetzt werden können, sollen jeweils spezielle Datenbanken für „Demonstranten“ und „Terroristen“ aufgebaut werden. Wie das Onlinemagazin „Telepolis“ in Erfahrung gebracht hat, ist auch eine neue Kategorie für „Leute, die daran gehindert werden sollen, den Schengen-Raum zu verlassen“, in Vorbereitung. Dazu zählen Personen, die im Zusammenhang mit einer strafrechtlichen Untersuchung stehen, Gefangene, die auf Bewährung entlassen wurden, sowie Kinder, denen die Entführung durch einen nicht im Schengen-Bereich lebenden Elternteil drohen könnte.

Bisher stand das Überwachungssystem nicht besonders im Licht der Öffentlichkeit. In die Schlagzeilen kam das SIS erstmals, als bekannt wurde, dass im Dezember 1997 geheime Fahndungsdaten auf dem Brüsseler Bahnhof gefunden wurden und auch im kriminellen Milieu zirkulierten. SIS-Kritiker wie die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch sehen allerdings nicht im Missbrauch, sondern im Gebrauch der Daten das Hauptproblem. Sie bemängeln die fehlende demokratische Kontrolle der Schengen-Aktivitäten, die auf EU-Ebene noch weniger als auf nationalstaatlicher Ebene gegeben sei. Zwar gibt es für das SIS spezielle Datenschutzregelungen im Abkommen und mit der Joint Supervisory Authority (JSA) wurde sogar eine Kontrollbehörde für das SIS geschaffen. Praktisch verfügt sie aber über keine Kontrollmöglichkeiten und kann keine Sanktionen verhängen.

In einer Anhörung des norwegischen Parlaments sagte Georg Apenes, Direktor der norwegischen Überwachungsbehörde, dass die JSA nicht einmal über ein Telefon verfüge. Außerdem befürchten BürgerrechtlerInnen, dass der Einstieg in die grenzenlose Überwachung gerade erst begonnen hat. Wenn Wirklichkeit würde, was an Vorschlägen unter den Sicherheitsexperten kursiert, wäre die europaweite Rasterfahndung perfekt. Danach sollen in das SIS-System zusätzliche Identifikationsdaten wie Fotografien, Fingerabdrücke und biometrische Daten wie DNA-Profile eingefügt werden.

PETER NOWAK

p.nowak@gmx.de

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