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Das Ende der Schonfrist für Jospin

Vor der Sommeruniversität der französischen Sozialdemokraten formieren sich die Fraktionen nach den Wahlniederlagen im Frühjahr. Klare Mehrheiten gibt es nicht. Das Ziel: mit einer linken Einheitspartei 2007 die Wahlen zu gewinnen

aus Paris DOROTHEA HAHN

Die Schonfrist für Lionel Jospin ist vorüber. Vier Monate nach der Wahlniederlage hat sich bei den französischen Sozialdemokraten als Erste eine Exministerin und Exbürgermeisterin vorgewagt. Der einstige Premierminister tauge nicht zum Staatspräsidenten, er habe „sich selbst überschätzt“, schreibt Marie-Noëlle Lienemann in ihrem Buch, das heute in die Läden kommt. Er habe „intellektualisiert, statt zu begeistern“, habe „den kapitalen Fehler“ begangen, seine sozialistische Zugehörigkeit zu verleugnen, habe sich mit „Autisten“ umgeben und keinerlei „Würde“ gezeigt, als er angesichts des Wahldebakels „einen leeren Stuhl hinterließ“.

Die 51-jährige „Marie-No“ gehört zum linken Flügel der PS. Ihre Kritik an den europäischen „Sozialliberalen“, zu denen sie in einem Atemzug „Blair, Schröder, Fabius und Cohn-Bendit“ zählt, ist bekannt. Ihr in Ausschnitten vorab veröffentlichtes Buch begleitet jetzt den Auftakt zur PS-Sommeruniversität. In der Partei sorgt es für helle Aufregung. „Unelegant“, lauten dort die Kommentare. Und: „nicht hilfreich für die Debatte“.

Für die Genossen war persönliche Kritik an dem einstigen Star der europäischen Sozialdemokratie bislang ein Tabu. Selbst die Enttäuschung über den „Rückzug aus der Politik“ – mit dem Jospin noch am Wahlabend auf seine Niederlage gegenüber einem Rechtsextremen reagierte – hielten die Sozialdemokraten unter der Decke. Stattdessen befassen sich die verschiedenen Flügel der Partei um die richtige Linie und kämpfen um die künftige Macht in der PS.

In Kolumnen in den großen Zeitungen analysieren Vertreter von rechtem und linkem PS-Flügel die Gründe ihrer Doppelniederlage bei Präsidentschafts- und Parlamentswahlen. Dabei überwiegen gegenwärtig die Divergenzen. Der Flügel um Exfinanzminister Laurent Fabius und seinen Amtsvorgänger Dominique Strauss-Kahn erklärt das Scheitern vor allem mit den Mängeln bei der inneren Sicherheit und dem zurückgehenden Vertrauen in die Autorität des Staates. Das sei, so schreibt einer aus ihren Reihen in der Zeitung Le Monde, bei allen europäischen sozialdemokratischen Parteien ein Problem.

Die Parteilinken, darunter Exparteichef Henri Emmanuelli, aber auch die Gruppe um Lienemann, machen die wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidungen der rot-rosa-grünen Regierung für die Wahlniederlagen verantwortlich. Die Regierung habe zu viel privatisiert und zu wenig Politik für sozial schwache und für Niedriglohnempfänger gemacht, kritisieren sie. Von der Vorzeigereform der 35-Stunden-Woche hätten vor allem „Pariser leitende Angestellte“ profitiert.

Bei diesem öffentlich ausgetragenen sozialdemokratischen Streit nennen sich die einen „moderne Linke“ und die anderen „sozialistische Linke“. Die einen propagieren eine „humane Gesellschaft im Rahmen des globalisierten Kapitalismus“, die anderen eine „Überwindung des Kapitalismus“. Da keine der beiden Seiten in der Partei über eine klare Mehrheit verfügt, ist die langfristige Richtungsentscheidung offen.

Für die dreitägige Sommeruniversität, die am Freitag in La Rochelle beginnt, bedeutet das harte Auseinandersetzungen. Dort stehen keine Entscheidungen, sondern politische Debatten auf dem Programm der Workshops. Aber auch in Workshops können Flügelkämpfe stattfinden. Zumal sich alle Flügel in der seit Juni auf die Oppositionsbänke verdammten PS einig sind, dass sie die Regierung im Jahre 2007 zurückerobern werden.

Einig sind sich viele in der PS auch in der Bewertung ihrer Rolle gegenüber den anderen Parteien der Linken. Nachdem die Partei fünf Jahre lang als Primus inter Pares in der rot-rosa-grünen Regierung gearbeitet hat, wollen viele in der PS sie jetzt zum Kern einer neu zu gründenden linken Einheitspartei machen. Nach sozialdemokratischen Vorstellungen sollen dazu auch Kommunisten und Grüne gehören. Nach dem Muster, das auf der Rechten Jacques Chirac in diesem Frühsommer mit der Gründung der UMP vorexerziert hat. Sollte die PS Erfolg haben, käme Frankreich damit noch deutlicher auf den Weg zu einem Zweiparteiensystem. Doch die einstigen Koalitionspartner haben dem Hegemoniestreben bereits deutliche Absagen erteilt.

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