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Bund zahlt die Hälfte, Steuerzahler alles

Bund, Länder und EU in seltener Schnelligkeit beim Hilfsprogramm. Teil des Geldes kann sofort fließen. Banken fordern Klärung zu Krediten

BERLIN taz ■ Dem offiziellen Grummeln von Union und FDP zum Trotz sind gestern im Bundestag genauere Beträge zum Hilfspaket für die Flutopfer beschlossen worden. Zusammen mit bisher zugesagten 1,2 Milliarden Euro von der Europäischen Kommission sind es knapp zehn Milliarden Euro, vor allem im Haushaltsjahr 2003. Offiziell zustimmen muss noch der Bundesrat in einer Sitzung noch vor der Bundestagswahl. Erste Soforthilfen wurden und werden jedoch bereits ausgezahlt.

Das Gesetz trägt den schönen Namen „Flutopfersolidaritätsgesetz“, vereinbart am 22. August bei einem Treffen im Bundeskanzleramt von Bundesregierung und allen 16 Regierungschefs der Bundesländer. Das Geld stammt zum größten Teil aus der Verschiebung von Steuererleichterungen (so genannte zweite Stufe der Steuerreform) von 2003 auf 2004 und einer Erhöhung der Körperschaftsteuer für Unternehmen um 1,5 Prozent, begrenzt auf das Jahr 2003. Die daraus fließenden zusätzlichen Steuereinnahmen von Bund (3 Milliarden) und Ländern (3,6 Milliarden) plus weitere 471 Millionen aus dem Bundeshaushalt fließen in den Fonds „Aufbauhilfe“. Mit projektierten 7,1 Milliarden Euro macht er den Löwenanteil der anvisierten Hilfen aus. Das Geld aus dem Fonds kann ab 1. Januar fließen, Sofortmaßnahmen und Anzahlungen sind jedoch schon früher möglich.

Der Bund will seine 3,5 Milliarden Euro dritteln: für Hilfe an Privathaushalte und geschädigte Unternehmen, zum Wiederaufbau der Infrastruktur vor allem in den betroffenen Kommunen und Landkreisen sowie für die Reparatur der Bundesverkehrswege und bundeseigenen Gebäude in den überfluteten Regionen. Gut 470 Millionen davon sind als Reserve für derzeit nicht absehbaren Bedarf vorgesehen.

Die betroffenen Länder kriegen ihren Anteil an den höheren Steuereinnahmen nach einem noch festzusetzenden Schlüssel pauschal ausgezahlt. Sie können mit den 3,6 Milliarden Euro entweder die Bundeshilfen unterstützen oder eigene Programme auflegen. Zusätzlich zum Aufbaufonds will der Bund eine Milliarde Euro aus dem Verkehrshaushalt in die Hochwasserregionen umleiten.

Dazu kommt noch die Hilfe der EU aus der so genannten Leistungsreserve ihres Strukturfonds zur Förderung benachteiligter Regionen, rund 1,2 Milliarden Euro für Deutschland. Die EU schätzt die Schäden in Deutschland – „sehr vorläufig“, so EU-Kommissionspräsident Romano Prodi am Mittwoch in Brüssel – auf 15 Milliarden, in Österreich auf zwei Milliarden Euro. Zusätzlich soll ein Katastrophenfonds der EU jährlich 500 Millionen, eventuell sogar eine Milliarde Euro bereithalten. Der Katastrophenfonds muss jedoch noch von der EU-Haushaltsbehörde genehmigt werden und ist noch nicht in die allgemein verbreiteten Zahlen eingerechnet.

Werden noch die bereits bewilligten etwa 500 Millionen Soforthilfe der Bundesregierung hinzugerechnet und treffen die Steuerschätzungen für das Jahr 2003 zu, sind damit Hilfsgelder für die überfluteten Regionen in Höhe von knapp 10 Milliarden Euro beschlossene Sache.

Die Union hatte vorgeschlagen, statt die Steuerreform zu verschieben lieber die voraussichtlich knapp 8 Milliarden Euro Gewinn der Bundesbank aus der Schuldentilgung in die Flutgebiete umzuleiten. Als einen der Vorteile sahen CDU/CSU dabei, dass das Geld mehr oder weniger sofort zur Verfügung stehe, und nicht erst zum größten Teil ab nächstem Jahr. Die Bundesregierung bemühte sich jedoch, diesen Vorwurf zu entkräften: Noch gestern wollte das Wirtschaftsministerium 100 Millionen Euro an die Länder für betroffene Betriebe überweisen. Bauminister Kurt Bodewig hat für nächste Woche 70 Millionen für den Wiederaufbau von Häusern in Aussicht gestellt. Und Agrarministerin Renate Künast will an die Landwirtschaft noch in diesem Jahr 140 Millionen Euro überweisen.

Laut dem Bundesfinanzministerium wurden bis gestern von bereits zur Verfügung stehenden 400 Millionen Euro erst 100 Millionen abgerufen. „Das Geld ist da“, so ein Sprecher. Der Löwenanteil werde auf Grund nötiger Planungen wohl im Jahr 2003 fällig.

In welcher Weise genau bankrottgefährdete Unternehmen von den Hilfsgeldern profitieren können, steht noch ziemlich in den Sternen. Klar ist bisher nur, dass überschwemmte Betriebe ab heute bis zu 15.000 Euro Zuschüsse von den staatlichen Förderbanken der betroffenen Bundesländer abrufen können. Dieses Geld brauchen sie nicht zurückzuzahlen. Außerdem gibt es verbilligte Neukredite.

Darüber hinaus sollen den geschädigten Betrieben alte Kredite ganz oder teilweise erlassen werden, wenn andernfalls ihre Existenz gefährdet ist. Die Frage ist allerdings: Wer soll das bezahlen? Die Banken und Sparkassen weigern sich, dafür geradezustehen. Sie erwägen höchstens eine Aussetzung von Zinsen und Tilgung für einen gewissen Zeitraum. Bundeswirtschaftsminister Werner Müller stellt zwar in Aussicht, dass die öffentliche Hand in „Einzelfällen“ die Altschulden übernimmt, doch für die konkrete Abwicklung gibt es noch kein Verfahren. Heute findet ein weiteres Gespräch zwischen Müller und Vertretern der Banken statt.

R. METZGER/H. KOCH

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