: Entblößte Ungleichzeitigkeit
Übersetzungen der Bildsprache und der technischen Methoden des Kinos in die Fotografie: Die Kieler Kunsthalle zeigt „Wild Walls“ von Teresa Hubbard und Alexander Birchler
von LISA MONK
Wie lassen sich die laufenden Bilder eines Film-Streifens auf ein Foto bannen? Seit zehn Jahren beschäftigen sich Teresa Hubbard und Alexander Birchler mit der Übersetzung der Bildsprache und der technischen Methoden des Kinos in die Fotografie. Die Kunsthalle in Kiel zeigt nun fünf Fotoserien und zwei Videos, in denen die beiden in komplexen Schichtungen filmische Prinzipien dekonstruieren.
Ursprünglich kommen Hubbard und Birchler von der Skulptur und setzen die Gestaltung von dreidimensionalen Räumen in ihren Arbeiten zur Konstruktion von kinematographischen Schein-Wirklichkeiten ein. In der Fotoserie „Stripping“ von 1998 sind als Filmkulissen gebaute Räume so angeschnitten, dass gleichzeitig Innen- und Außenraum sichtbar werden. Die Trennwand zwischen den im Film fast nie gleichzeitig sichtbaren Orten ist durch einen schwarzen senkrechten Balken gesetzt. Sie markiert zugleich Kulissenkante, den schwarzen Trennstrich zwischen zwei einzelnen Aufnahmen auf einem Filmstreifen sowie den Schnitt zwischen zwei Szenen.
Isoliert in diesem Raum befindet sich eine Frau, an deren Gesicht sich ihre seelische Verfassung ablesen lässt. Das „Stripping“ bezieht sich auf die entblößte Gleichzeitigkeit der Innen- und Außenwelt von Filmkulisse und Protagonistin. Außerdem verschränkt sich hier der Blick des Betrachters mit dem einer Kamerafahrt. Das im Film vorgegaukelte Kontinuum von Raum und Zeit transformieren Hubbard/Birchler im Foto zu real gestalteter Gleichzeitigkeit.
Einen dokumentatorischen Ansatz zur Geschichte des Kinos verfolgen Hubbard/Birchler mit der Serie „Arsenal“, die in dem legendären Berliner Kino aufgenommen wurde und wie ein Monument für die Berufe wirkt, die einen Kino-Betrieb in Gang halten. Eine blonde Frau posiert als Kartenabreißerin, Platzanweiserin oder Filmvorführerin. In körperlicher Starre von gelblichem Licht bestrahlt, erhält sie die Aura einer Wachsfigur. Das Kino erscheint dabei als bereits historisch gewordener Ort.
Hubbard/Birchler interessiert, wie „der Moment die Kamera einfängt“. In „Eight“ wandert die Kamera im Kreis um ein Mädchen, das seine im Regen versinkende Geburtstagstafel erst von drinnen betrachtet, dann aber in das Unwetter hinaus geht, um sich ein Stück ihrer Geburtstagstorte abzuschneiden. Suggestiv nimmt der Betrachter am Empfinden des Mädchens teil und gleitet mit der Kamera ohne Schnitte aus dem Regen ins Wohnzimmer. Als Loop kehren die Szenen in hypnotischer Gleichförmigeit wieder, ohne konkrete Geschichte, aber voller Anspielungen.
Hubbard/Birchler verwendeten die Methode, mit langen Aufnahmen ohne Schnitte zu filmen, wie es beispielhaft Hitchcock in Cocktail für eine Leiche praktizierte, möglich durch die Verwendung von verschiebbaren Kulissenwänden. Diese Wild Walls gaben der Ausstellung ihren Titel. Wie sie auf dem Filmset an der Kamera vorbeigezogen werden, streift das Auge des Betrachters in der Ausstellung durch ein Depot von Kulissen, die voll kunsthistorischer und filmischer Zitate die Illusion des Kinos auflösen – um sie im anderen Medium neu zu konstruieren.
Di–So, 10.30–18 Uhr, Mi bis 20 Uhr, Kunsthalle Kiel, Düsternbrooker Weg 1; bis 13. Oktober
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