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Melancholie und Menschenliebe

Schmetterlinge und andere Unschuldige: Auf den ersten Blick sind die in der Galerie 2yk gezeigten Fotoprints des kanadischen Bestsellerautors Douglas Coupland Pop-Art. Erst später entdeckt man ihre Sehnsucht nach einem wahren, moralischen Kern

von SUSANNE MESSMER

Auf den ersten Blick wirken die Fotoprints von Douglas Coupland, die die „Zentrale Intelligenz Agentur“ nach Berlin geholt hat, wie Pop Art. Klatschbunte Computergrafiken erinnern an die Geschenkschleifen von Jeff Koons, Colgate-Gesichter neben Comicfiguren, Lichtenstein fällt einem ein – und die Aura, von der nur noch die schlabbrige Hülle eines Ballons übrig ist, aus dem schon vor Jahrzehnten die heiße Luft raus ist.

Erst etwas später fällt auf: Es bleibt nicht dabei. Man gleitet an Couplands Bildern vorüber und kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier irgendwo eine diffuse Sehnsucht nach einem Dahinter steckt, nach einem unbefleckten Ursprung vielleicht, eine Melancholie, eine versteckte Menschenliebe. In einer Serie hat Coupland Schmetterlinge mit militärischen Symbolen und Begriffen montiert – ausgerechnet Schmetterlinge, die man auch in Hochglanz nicht schöner hinbekommen kann als in echt. In einer anderen hat er Fotos von High-School-Absolventen seltsam verwischt. In einem Begleittext schreibt Coupland: „Du siehst in Eierschale hinein, siehst auf eine wundervolle Kreatur, die gerade erst erwacht.“

Klischees, die einem ans Herz wachsen, überzeichnete Figuren, die angelegt sind wie Abziehbilder, die einen aber doch durch einen winzigen Spalt Einblick gewähren, so dass man sich mit ihnen anfreunden kann – das ist der Schlüssel, nach dem alles, was Douglas Coupland macht, funktioniert. Nicht nur seine Kunst, sondern auch seine Romane, mit denen der frühere Kunst- und Designstudent, der alles von Andy Warhol dreißigmal gelesen haben will, zuerst bekannt geworden ist. Aber wie ist das möglich bei einem, der meint, unsere Welt hätte sich längst vollständig in glitzernde Zeichen, binäre Codes und andere schöne Oberflächen aufgelöst? Wie kann einer, der glaubt, dass es sich bei der Sucht nach Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehnachrichten um ein von Ereignissen losgelöstes Phänomen handelt, doch noch an einen guten Kern glauben? Vielleicht ist es ja gar kein Geheimnis mehr, dass alle, die sich umso präziser auf die Beobachtung der Welt der Marken, Fastfood-Ketten und billigen Transkontinentalflüge verlegt haben und sich eher den Finger abhackten als zusammenhängende Antworten zu finden, über innere Beweggründe zu räsonnieren oder historische Zusammenhänge aufdecken zu wollen, dass es sich bei diesen Leuten schon immer um die größten Moralisten gehandelt hat.

Man denke nur einmal an Jean Baudrillard, der Amerika mit fremdem Blick bereiste – mit seinem französischen Bildungsdünkel im Gepäck, das dem vieler Kanadier, den Landsleuten Couplands, nicht unähnlich ist. In Amerika wurde Baudrillard, der große radikale Medienkritiker, Pessimist und Apokalyptiker, plötzlich ungewohnt fröhlich. Ihn befiel eine Lust an der Beobachtung „der unbefleckten Oberfläche“ des Salt Lakes und der „Glasfassaden der Hotels“ in New York. „Es liegt eine Art Wunder in der Schalheit der künstlichen Paradiese“, rief er enthusiastisch aus, und beschrieb, wie ein Marathon in New York ihm die Tränen in die Augen trieb. Das hätte er nie zuwege gebracht, hätte er nicht gleichzeitg geglaubt, dieser ganze schnöde Schein würde eines Tages kollabieren – auf dass hinter der Kulisse aus Simulation die menschliche Intelligenz wieder zum Vorschein käme. Nur so konnte er eine tiefe Liebe zu seinem Feind entwickeln, und diese Liebe ist dieselbe Hassliebe, Douglas Couplands zu seinen Figuren und Gegenständen, in seiner kalten, rührenden Kunst ebenso wie in seinen angeekelten, mitreißenden Büchern.

Wie bitterböse war doch das Porträt der Generation der um 1960 geborenen in „Generation X“, seinem berühmtesten Roman. Wie abstoßend und liebenswert zugleich seine Protagonisten, die sich freiwillig in den Sozialabstieg begaben – hauptsächlich, weil ihnen nichts Besseres einfiel, aber eben auch, weil keine Lust hatten, Teil einer Marketing-Gruppe zu sein. Und auch sein neuer Roman, „Alle Familien sind verkorkst“, der bald erscheint: Was für eine neurotische, blöde Familie, wie heilos sie dem amerikanischen Traum nachhumpeln. Und trotzdem: Wie herzzerreißend ihr Widerstand, nicht ganz gefressen zu werden. Genauso herzzerreißend wie Couplands Schmetterlinge. Und Absolventen.

Bis 5. September, 14–19 Uhr, Galerie 2yk, Am Flutgraben 3, Treptow

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