: „Geef mi man de Rosicky“
Der SV Concordia Ihrhove ist ein Dorfverein, der normalerweise in der Oberliga spielt. Am Samstag verlor der Klub im DFB-Pokal mit 0:3 gegen Borussia Dortmund – und ist darauf auch sehr stolz
aus Ihrhove JAN BRANDT
Neben der Reservebank des Fußball-Oberligisten SV Concordia Ihrhove stand eine gelbe Telefonzelle, und in ihr saß der ARD-Hörfunk-Kommentator und berichtete über das DFB-Pokal-Spiel gegen den deutschen Meister Borussia Dortmund. Vieles im Ihrhover Hindenburgstadion wirkte provisorisch; innerhalb weniger Wochen war die Kapazität von ein paar hundert Plätzen auf 14.500 erhöht worden. Bäume mussten gefällt und neue Tribünen errichtet werden, um dem Andrang des Publikums standhalten zu können.
Ihrhove hat 3.500 Einwohner, eine Videothek, eine Disko und sechs Supermärkte, drei davon stehen inzwischen leer. Der Bahnhof wurde vor Jahren geschlossen und beherbergt seitdem eine Reinigung. Gleich neben dem alten Bahnhofsgebäude befindet sich der „Dorfkrug“, die örtliche Kneipe, die vom Teammanager und Stadionsprecher Gerd Hollander geleitet wird. Hier versammeln sich regelmäßig Vereinsmitglieder, Fans und Sponsoren, zu denen auch der Besitzer des „Club Jacqueline“ zählt, der mit dem Spruch „Immer mit ‚netten‘ Mädchen“ im Stadion um Kunden wirbt. Auf Deutsch: Ihrhove ist ein beschauliches ostfriesisches Dorf an der Ems, keine fünfzig Kilometer von der Nordsee entfernt.
Jeder kennt hier jeden, und wenn es um Fußball geht, sind sich alle einig. Das Spiel gegen Borussia Dortmund versetzte die Menschen seit Wochen in helle Aufregung, zwei Dutzend freiwillige Helfer, Rentner zumeist, organisierten den Stadionausbau und packten bei der Montage des Gerüstes selbst mit an, andere schmückten die Straßen, befestigten rot-weiße Girlanden an den Häusern und hissten am Dachfirst die Vereinsfahne. Viele Bewohner haben als Jugendliche selbst bei Concordia Ihrhove Fußball gespielt und von einem Spiel wie diesem immer geträumt. Lange Zeit blieb der Klub aber in der Bezirksliga ohne Aussicht auf größeren Erfolg. Bis sich örtliche Unternehmen des Vereines annahmen und junge Talente in die Region lockten. Die Investitionen zahlten sich schnell aus, in acht Jahren stieg Ihrhove fünfmal auf, zuletzt 1996 in die Oberliga Niedersachsen/Bremen. Und nun hatte sich das Team mit einem 2:1-Sieg im Verbandspokal gegen Zweitliga-Aufsteiger Eintracht Braunschweig überraschend für die Hauptrunde im DFB-Pokal qualifiziert.
Seit der Auslosung im Juli gab es in Ihrhove kein anderes Thema mehr. Den Spielern hatte der Coach Johann Lünemann beim Training jedoch verboten, über die bevorstehende DFB-Partie zu sprechen. Sie sollten sich stattdessen auf die nächsten Oberliga-Begegnungen konzentrieren. An diese Vorgabe wollte sich freilich niemand halten; die Spieler waren hoch motiviert und glaubten an ihre Chance. „Geef mi man de Rosicky“, gab der zwanzigjährige Bernhard Lübbers auf Plattdeutsch einem Reporter der Süddeutschen Zeitung zu Protokoll und deutete damit selbstbewusst an, dass er mit Dortmunds tschechischem Stürmerstar schon fertig würde. Auch Kapitän Mario Rodriguez aus Uruguay, der bereits bei den Stuttgarter Kickers und Tennis Borussia unter Vertrag stand, war zuversichtlich. „Je länger es 0:0 steht, desto günstiger ist die Sache für uns“, sagte Trainer Johann Lünemann. An einen Sieg wollte er freilich nicht glauben, lieber gab er bekannt, schon froh zu sein, wenn das Ergebnis einstellig bliebe.
Während sich die Mannschaft verbal aufwärmte, kamen immer mehr Journalisten und Fernsehteams nach Ihrhove, filmten die Bäckerei, den Fischladen und die Kirche, lichteten den Pastor mit Fanschal ab, interviewten den Buchhändler und den Schmied und wollten von allen wissen, wie es denn ausgehen werde, das Spiel, am Samstag.
Am späten Samstagnachmittag wussten sie es dann endlich: 3:0 für Dortmund. In der ersten Halbzeit hielt Concordia dem Druck der Borussen zwar wie vom Trainer gefordert stand, obwohl der deutsche Meister beinahe im Minutentakt aufs Tor der Ostfriesen stürmte. Die Führung aber gelang erst nach der Pause Jörg Heinrich – und obwohl die Ihrhover auch in der Folgezeit nicht aufgaben, schwanden ihnen mit der Zeit die Kräfte, was Jan Koller (82.) sowie Otto Addo (83.) zum 3:0 nutzten.
Am Ende waren dennoch alle zufrieden: Die Zuschauer hatten ein spannendes Spiel gesehen, Dortmund verdient gewonnen – und Concordia Ihrhove sich als ernst zu nehmender, wenn auch nach vorne wenig gefährlicher Gegner präsentiert, dem am Schluss die Puste ausging. Von mehr hatten sie ohnehin nur zu träumen gewagt.
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