: Bitte drei Minuten abkochen!
Dem Kampf gegen das Wasser folgt jetzt der Kampf um das Wasser – in den betroffenen Gebieten muss vielerorts die Infrastruktur der Trink- und Abwasserversorgung neu aufgebaut werden. Die Menschen fürchten höhere Gebühren
aus Leisnig NICK REIMER
Im Juli hatte das Landratsamt Döbeln die Idee, eine Katastrophenschutzübung für September anzusetzen. Das sei mal wieder dran, so die Offiziellen. Szenario: Hochwasser an der Freiberger Mulde, die Trinkwasserversorgung bricht zusammen. „Natürlich haben wir uns Gedanken gemacht“, sagt Christine Mesek, Niederlassungsleiterin von OEWA-Wasser, Tochter des weltgrößten Wasserkonzerns Vivendi. Man könnte sagen: Gott sei Dank hat sich OEWA Gedanken gemacht. Vier Wochen später trat ein, was als Übung geplant war.
Das Trinkwasserwerk in Leisnig. Etwa neun Meter hoch stand hier die Mulde, überflutete die Hallen, schüttete die Brunnen mit Schlamm zu. Wasser, das Wasserleitungen vernichtet: Die unterirdischen Transportleitungen wurden von der Mulde schlicht zerschmettert, die Versorgung brach zusammen. Aber nicht lange. „Wir wussten, wo wir welche Notleitung legen mussten“, sagt Christine Mesek. Der Katastrophenschutzübung sei Dank. Zudem schickte der Mutterkonzern aus Frankreich ein mobiles Wasserwerk. Bislang tat das seinen Dienst im Kosovo und anderen Krisengebieten.
„Natürlich ging es zuerst darum, Menschenleben zu retten“, sagt Hans-Henner Steinborn, Leiter des Gesundheitsamtes im Landkreis Döbeln. Gleich danach habe aber die Trinkwasserversorgung auf der Agenda gestanden. „Menschen können nur wieder aufbauen, wenn sie sauberes Trinkwasser haben“, sagt Steinborn. Die Situation sei dramatisch gewesen. „Ich hatte nur noch die Hälfte der Wasserwerke. Und keinen Strom mehr.“ Mittlerweile sei die Lage stabil, auch wenn es eine Notlage bleibe. „Die Leute wollen kein Chlor in ihrem Trinkwasser. Aber wenn du Chlor drin hast, hast du wenigstens keine Keime mehr.“
Trinkwasser mindestens drei Minuten abkochen – das war wochenlang der Rat der sächsischen Gesundheitsämter. Wasserproben hatten jede Menge bakterielle Belastung ergeben. Verursacht unter anderem durch zerstörte Abwasserleitungen und überflutete Klärwerke. Zum Beispiel in Grimma. „Wir schätzen die Schäden allein an dieser Anlage auf 1,1 Millionen Euro“, sagt Abwassermeisterin Karsta Leuschner. Zu beheben sei dieser Schaden nur, wenn der Staat zahle – und zwar alles. Entsprechende Zusagen habe das Umweltfachamt Leipzig glücklicherweise bereits gegeben, so Leuschner.
Dass beim Wiederaufbau manchmal auch kühnste Prognosen übertroffen werden, zeigt das Klärwerk in Dresden-Kaditz mit einem Einzugsgebiet von 500.000 Menschen. Dort gelang es, zwei der sechs eigentlich aufgegebenen Pumpen zu reaktivieren. Seit Freitag klären sie bis zu 6.500 Kubikmeter Abwasser je Stunde. „Das entspricht der Menge, die an Tagen ohne Regen anfällt“, sagt Betriebsleiter Johannes Pohl. Mit etwa 12,5 Millionen Euro werden hier die Schäden beziffert, tagelang flossen 110.000 Kubikmeter Abwasser in die Elbe. Die Schäden am Dresdner Kanalnetz werden sogar auf 16,5 Millionen Euro geschätzt. Und sie werden noch lange Dresdner Alltag sein. „Sobald wir 20 Zentimeter graben, kommt Grundwasser“, sagt Gebietsleiter Oswald Krause. Zwei Jahre veranschlagt er, bis das gesamte Kanalnetz repariert ist.
Angesichts solcher Summen fürchten die Menschen vielerorts, dass die in den neuen Bundesländern sowieso schon besonders hohen Wassergebühren weiter steigen. Selbst wenn – wie die Wasserwerker hoffen – sich Bund und Land die Kosten teilen, werden diejenigen, die vom Hochwasser überrollt wurden, wohl zahlen müssen. Wasserwerkerin Christine Mesek: „Beim Beseitigen des Schlammes haben viele Haushalte so viel Wasser eingesetzt, wie sonst im ganzen Jahr“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen