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Das Schweigen kehrt zurück

aus Leiza REINER WANDLER

„Ich rede nur als Bürgermeister und nicht im Namen von Batasuna“, stellt Tomás Azpiroz gleich klar. Batasuna ist seit vergangenem Montag illegal. Würde der 31-Jährige, der die Geschicke der 3.000-Seelen-Gemeinde Leiza in der Provinz Navarra, auf halbem Weg zwischen San Sebastian und Pamplona lenkt, als Parteimitglied reden, könnte er rechtlich belangt werden.

Azpiroz wirkt matt und angespannt. Hinter ihm liegt eine harte Woche. Baltazar Garzon, Ermittlungsrichter am Obersten Strafgericht in Madrid, hat Azpiroz’ Partei für drei Jahre jegliche Aktivitäten verboten und die Schließung der Parteilokale angeordnet. Batasuna sei direkter Bestandteil der bewaffneten Separatistengruppe ETA, heißt es im Ermittlungsbericht. Das Parlament hat die Regierung in Madrid aufgefordert, Batasuna endgültig verbieten zu lassen. Da die Formation die ETA-Gewalt nicht verurteile, sei sie verfassungswidrig. Die Staatsanwaltschaft schließt sich dem an. Heute will die Regierung den Antrag beim Obersten Gericht einreichen.

„Das Parteibüro in Leiza war eines der ersten, das Garzon versiegeln ließ“, berichtet Azpiroz. Nachts, nur wenige Stunde nach Veröffentlichung des richterlichen Bescheids, fuhr die Guardia Civil auf dem Dorfplatz vor. Die Beamten klebten eine Kopie des Gerichtsbeschlusses über die Schlösser der Bürotüren im ersten Stock eines alten Gebäudes gegenüber dem Rathaus, spannten Plastikband mit dem Polizeilogo kreuz und quer und verschwanden wieder.

Das versiegelte Büro

Die Parteikneipe im Erdgeschoss blieb noch verschont. Doch vorsichtshalber wurde sie leer geräumt. Die Holzbänke und -tische wurden durch Plastikgartenmöbel ersetzt, der große Fernseher durch ein altes Gerät. Selbst Bilder wurden abgehängt. Nur Porträts der vier ETA-Gefangenen aus der Gegend zieren noch die kahle Wände. „Man weiß ja nie“, meint der Bürgermeister. Die Kneipeneinrichtung könne schließlich anderswo wieder gebraucht werden.

Überall im alten Ortskern Leizas kleben große Plakate. „Demokratie“, und „Stoppt den Faschismus“ ist darauf zu lesen. Es wird zu einer Demonstration gegen die Maßnahmen aus Madrid mobilisiert. Wer aufruft, steht nicht auf den fotokopierten Zetteln.

Wie es mit der kommunalpolitischen Arbeit weitergeht, das weiß der junge Ortsvorsteher nicht zu sagen. „Alles ist möglich, bis hin zu einer richterlichen Amtsenthebung“, befürchtet Azpiroz, der sich am Tiefpunkt seiner Bürgermeistertätigkeit sieht.

Dabei begann alles viel versprechend: Vor drei Jahren errang Batasuna bei den Kommunalwahlen in Leiza die absolute Mehrheit. ETA hatte wenige Monate zuvor einen unbefristeten Waffenstillstand verkündet. Die Hoffnung auf Frieden half Azpiroz und den Seinen. Doch 2001 brach ETA die Waffenruhe. Auch in Leiza schlug ein Kommando zu und ermordete den konservativen Gemeinderat und Dorffotografen José Xavier Múgica. Wie überall im Baskenland schweigen auch die Batasuna-Vertreter in Leiza zur Gewalt. Viele im Dorf nehmen dies Azpiroz und seinen Parteifreunden übel. „José Xavier, wir denken an dich“ und „ETA No“ wurde erst vor wenigen Tagen wieder überall gesprüht.

„Mit ihrer Politik haben ETA und Batasuna die baskische Gesellschaft tief gespalten“, erklärt Patxi Zabaleta. Der bekannte Anwalt aus Leiza gehört zu den Gründern von Herri Batasuna (HB), wie Batasuna bis vor einem Jahr hieß. Nach dem HB die Rückkehr zur Gewalt kritiklos hinnahm, legte Zabaleta all seine Ämter nieder und gründete die neue Partei Aralar (nach einem baskischen Berg benannt). Auch sie setzt sich für ein unabhängiges Baskenland ein, doch mit einem entscheidenden Unterschied: „Wir wollen nicht länger das Primat der Gewalt über die Politik akzeptieren.“ Zabaleta ist sicher, bei den nächsten Wahlen viele Stimmen aus dem Batasuna-Umfeld gewinnen zu können. Selbst ein Drittel der knapp 500 Gefangenen von ETA wollten, so Zabaleta, ein Ende der Gewalt.

In jedem internen ETA-Bulletin wird Aralar als „Verrätertruppe“ gebrandmarkt. Drohungen per Telefon und Sprühereien am Eingang der Anwaltskanzlei Zabaletas sind an der Tagesordnung. Dennoch ist der Anwalt gegen das Batasuna-Verbot. „Das Verbot ermöglicht es diesen Leuten, sich als Opfer darzustellen. Die Illegalisierung macht alles nur noch schlimmer“, ist sich Zabaleta sicher.

Die harte Gangart

Silvestre Zubitur ist damit nicht einverstanden: „Was soll hier noch schlimmer werden?“, fragt er verbittert. „Man kann einen Menschen doch nicht zweimal erschießen.“ Der untersetzte Mittfünfziger, der sich seinen Lebensunterhalt als Steinmetz verdient, ist einer der beiden Abgeordneten der Regionalpartei Volksunion Navarras (UPN), die mit dem in Madrid regierenden konservativen Partido Popular zusammenarbeitet.

Während Zubitur spricht, schaut er im Saal einer kleinen kulinarischen Gesellschaft mit starrem Blick auf das Foto seines ermordeten Parteikollegen, José Xavier Múgica. Hier, unweit des ehemaligen Batasuna-Büros, trifft sich Zubitur einmal die Woche mit Freunden und politischen Gesinnungsgenossen. Gemeinsam wird gekocht und debattiert.

Zubitur fühlt sich „baskisch bis in die Knochen, aber zugleich auch als Spanier“. Während die Nationalisten am Ostersonntag ihren Nationalfeiertag Aberri Eguna feiern, gehen die Konservativen aus dem Dorf jedes Jahr am spanischen Nationalfest im Oktober nach dem Gottesdienst zum Frühschoppen ins örtliche Revier der Guardia Civil.

Die ideologischen Unterschiede mit den Nationalisten beeinträchtigen die Arbeit im Gemeinderat nicht. „Über 90 Prozent der Anträge werden einstimmig angenommen“, sagt Zubitur. Der Batasuna-Bürgermeister habe Leiza nicht geschadet, „ganz im Gegenteil“. Der alte Ortskern wurde saniert, eine Sporthalle errichtet. Ein neu ausgewiesenes Industriegebiet zieht Firmen und damit Arbeitsplätze an. Jede Entscheidung stellt Bürgermeister Azpiroz dem Dorf vor. Alle Vereine und Parteien werden um ihre Meinung gefragt, bevor der Gemeinderat abstimmt.

Oft sei man nach den Ratsversammlungen gemeinsam einen Wein trinken gegangen, erzählt Zubitur. „Bis zum Tod von José Xavier, seither ist alles anders“, fügt er hinzu. Der Konservative ist sich sicher, dass das Kommando die Informationen über den Lebenswandel Múgicas von jemandem aus Leiza hatte. Schon allein deshalb befürwortet er die harte Gangart der hauptstädtischen Richter und Politiker gegen Batasuna.

Der verstummte Dialog

„Der Konflikt hat sich längst zu einer Art Hahnenkampf zwischen ETA und der Regierung entwickelt. Als ginge es darum, wer am wenigsten in der Lage ist, die Gegenseite zu verstehen“, meint Dorfpfarrer Bautista. Der Mann Anfang 60 lebt seit 13 Jahren in Leiza. Er gehört der Vereinigung Elkarri (der Name kann mit Gespräch, Verständigung übersetzt werden) an. Die Gruppe versucht seit Jahren eine Dialoglösung für den Konflikt zu finden. „Nach dem Batasuna-Verbot ist dies schier unmöglich“, befürchtet Bautista.

Während des ETA-Waffenstillstandes hatten sich immer wieder Vertreter aller Parteien und Vereine zu Diskussionen über die Zukunft zusammengefunden. Unter denen, die sich die Köpfe heiß redeten, saßen neben Azpiroz auch Zubitur und Múgica. Als Batasuna das Ende des Waffenruhe kritiklos hinnahm, wurden die Treffen eingestellt. Mit den tödlichen Schüssen auf Gemeinderat Múgica ist auch Leiza wieder in die alte, lähmende Furcht vor offenen Worten zurückgefalle. Heute traut sich kaum noch jemand auf der Straße oder in der Kneipe über Politik zu reden. Selbst das Thema Batasuna-Illegalisierung, das dieser Tage alle Zeitungen und Radio- und Fernsehprogramme beschäftigt, ist tabu. „Ein Ende dieses Zustands ist nicht in Sicht“, meint Pfarrer Bautista resigniert. „Doch manchmal muss es so richtig hart kommen, damit man wieder Licht sieht.“

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