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Einfluss auf den Abfluss

Sie sorgen für die richtige Verbindung zwischen den Gewässern und schützen das Binnenland vor Überschwemmung: 80 Schleusenmeister arbeiten an 16 Schleusen in Schleswig-Holstein

„Ich denke, in der heutigen Zeit werden wir um unseren Arbeitsplatz beneidet“

von SINA CLORIUS

“Alles im grünen Bereich“, sagt Gerhard Laß. Der Herr über Schleusen und Sieltore am Eidersperrwerk blickt auf die Monitore, die ihm den Pegelstand der Nordsee und der Flüsse Treene und Eider anzeigen. Warten ist sein Beruf: das Warten auf Schiffe und die Wartung der Anlage. Laß ist einer von rund 80 Schleusenmeistern, die an 16 Schleusen in Schleswig-Holstein arbeiten.

Sie sorgen für freie Fahrt trotz Gefälle oder für die richtige Verbindung zwischen zwei Gewässern mit unterschiedlich hohem Wasserpegel. Die Kontrolle des Wasserstandes obliegt dem Schleusenmeister, der die Pegel über Sieltore ausgleichen muss – wichtig bei Sturmfluten und Unwettern. So nimmt der Mensch Einfluss auf den Abfluss.

Im Mittelalter begannen die Norddeutschen, die Nordsee mit Deichen in die Schranken zu weisen und das Süßwasser aus dem morastigen Binnenland durch Kanäle in die Nordsee abzuleiten. Die Bauwut gipfelte in Großprojekten wie dem Eidersperrwerk bei Tönning (Kreis Nordfriesland). Hier wurde im Stil der siebziger Jahre geklotzt. Das Sperrwerk besteht hautsächlich aus einem 250 Meter breiten Betontor in der Mündung der Eider. Mit fünf Toren, jedes 40 Meter breit, kann die Flussmündung komplett verschlossen werden. Boote, die dann in die Nordsee wollen, müssen den Seiteneingang nehmen und werden über zwei Schleusenkammern umgekehrt geleitet. Gesteuert wird das Öffnen und Schließen der Sieltore und Schleusen von einer Art Flughafentower aus. Dort thronen Laß und seine Kollegen.

Naturschützern ist das Eidersperrwerk ein Dorn im Auge, Wasserbauingenieure sind begeistert. Jürgen Hinrichsen vom Wasser- und Schifffahrtsamt in Tönning, das das Sperrwerk unterhält, meint, dass es in den vorigen Wochen ohne das Sperrwerk im Binnenland Überschwemmungen gegeben hätte. Nach den starken Regenfällen habe man bei Niedrigwasser die Sieltore geschlossen. Dadurch wurde Wasserstand der Eider künstlich niedrig gehalten, so dass das Wasser aus der Treene und anderen Zuflüssen aus dem Hinterland, dem Gefälle folgend, ablief. „Ebbe-Einstau“ wird das bei den Betriebsmeistern genannt. Der diensthabende Sperrwerksleiter öffnete erst nach dem nächsten Niedrigwasser, wieder die Sieltore, und das Wasser floss mit dem Ebbstrom ab. Das wurde so lange wiederholt, bis die Pegelstände der Zuflüsse wieder normal waren.

Jetzt aber, bei normalem Wetter, ist das Sperrwerk geöffnet. Dann strömt die salzige Flut in die Eider, und bei Ebbe läuft der Strom hinaus Richtung Helgoland. Für den verlässlichen Betrieb des Sperrwerks ist der Betriebsstand rund um die Uhr besetzt. Dann kommt es vor, das nachts ein Seenotruf eingeht. Olaf Schwandke, ein Kollege von Laß, hatte es allerdings in seinen vier Jahren Dienstzeit nur mit einem eher kuriosen Notfall zu tun. Jemand rief aus Tönning an: „Ich habe einen Rohrbruch, Sie müssen sofort kommen und das Wasser abstellen, Sie sind doch vom Wasser- und Schifffahrtsamt.“

Zwanzig Kilometer die Eider flussaufwärts geht alles ein wenig ruhiger zu. Die Schleuse Friedrichsstadt ist nur tagsüber besetzt. „Es kommt aber vor, dass ich nach Feierabend noch mal hinfahren muss, um die Sieltore zu öffnen oder zu schließen“, erzählt Betriebsmeister Sönke Dresler. An der Friedrichstädter Schleuse, wo die Treene in die Eider mündet, zeigen zwei Pegelschreiber an, ob zwischen Husum und Rendsburg „Land unter“ droht. „Vier Meter vierzig“, meldet Dresler, „das ist in Ordnung. Ab fünf wird es kritisch, dann können wir nur noch die Sieltore aufmachen und froh sein über jeden Meter, der abfließt.“

Die Sieltore, die hier gerade zwei Meter breit sind, werden noch über mechanische Hebel bewegt. Nur für das kleinste Schleusenbecken, das in den fünfziger Jahren modernisiert wurde, gibt es schon ein Schaltpult. Immerhin wollen pro Saison etwa 1000 Sportboote in den Hafen von Friedrichstadt geschleust werden, dazu kommen einige Ausflugsschiffe und Getreideschiffe während der Erntezeit.

Das Schleusenwärterhäuschen ist ein roter Backsteinbau, der lauschig zwischen Pappeln verborgen liegt. „Ich denke, in der heutigen Zeit werden wir um unseren Arbeitsplatz beneidet“, gibt Dresler zu. Obwohl auch hier die Rationalisierung Einzug gehalten hat. Früher war man noch zu fünft beschäftigt. „Die Kollegen konnten zum Beispiel das Vogelhäuschen da draußen anbringen und die Vögel füttern“, erzählt Dresler, „für so etwas haben wir zu zweit keine Zeit.“

Weitere dreißig Kilometer flussaufwärts verbindet die Giselau-Schleuse die Eider mit dem Nord-Ostsee-Kanal. Kaum 500 Meter Luftlinie entfernt schieben sich riesige Containerschiffe durch Schleswig-Holsteins wichtigste Wasserstraße. Davon ist hier nichts zu spüren. Eine hölzerne Hebebrücke führt über den Giselau-Kanal, den man für ein schilfbestandenes Flüsschen hielte, führte er nicht so schnurgerade durch die Moorlandschaft zwischen Heide und Rendsburg.

Mit Sieltoren hat Schleusenwärter Wolfgang Jens keinen Stress, dafür umso mehr mit Sportbooten, denn die Strecke durch den Giselau-Kanal in die Eider gilt unter Skippern als Geheimtipp. Im vorigen Jahr hatte er etwa 3000 Schleusungen, das sind im Sommer 800 Boote pro Monat.

Der Mitarbeiter des Wasser- und Schifffahrtsamtes Brunsbüttel war bis vor einem halben Jahr bei der Verkehrslenkung des Nord-Ostsee-Kanals tätig. Dort wurde seine Stelle wegrationalisiert, „das läuft jetzt alles über GPS“, das satellitengestützte Navigationssystem. „An den Publikumsverkehr hier musste ich mich erst gewöhnen, bei der anderen Arbeit saß ich ja immer allein.“ Jetzt hält Jens oft einen Klönschnack, wenn er den Skippern beim Festmachen hilft oder die Schleusengebühr kassiert.

Auch im Winter hat Jens gut zu tun – dann verlangt die Schleuse nach Wartung. „Das ist alles noch die Original-Elektrik von 1937“, brüllt der 47-Jährige gegen den Lärm der quietschenden Hubbrücke an, „die alte Lady hat ein bisschen Zipperlein.“

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