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Vater Bach und Sohn

Die Matthäus-Passion von Carl Philipp Emmanuel Bach. Wiedergefunden wurde das Stück in der Ukraine, aufgeführt jetzt beim Bremer Musikfest.

Der Hintergrund der Aufführung ist derselbe Krimi, der sich in vielen anderen Fällen der Wiederauffindung von sogenannter „Beutekunst“ in den letzten zwanzig Jahren abgespielt hat. Der deutsch-amerikanische Musikforscher Christoph Wolf stieß anlässlich seiner Dissertation über Johann Sebastian Bachs Notenarchiv auf eine Bibliothek von 5.000 Musikalien aus dem Besitz der Berliner Singakademie, die verschwunden war. Im Juni 1999 stand er dann in der Ukraine tatsächlich vor dem Schatz. Einer dieser wiedergefunden Schätze, eine Matthäus-Passion von Bachs Sohn Carl Philipp Emmanuel, wurde im Rahmen des Musikfests aufgeführt.

Bevor es allerdings dazu kam, mussten sensible Verhandlungen mit der Ukraine geführt werden. 2001 wurde dann das gesamte Material den Berlinern zurückgegeben. Dort harrt es jetzt größtenteils der wissenschaftlichen und praktischen Aufarbeitung.

Zehn Prozent, also etwa 500 Titel, sind Materialien aus der Familie Bach und davon wiederum die Hälfte Manuskripte des zweiten Bach-Sohnes Carl Philipp Emmanuel, jenem damals hochgeschätzten Komponisten, von dem Mozart sagte: „Er ist der Vater, wir die Buben“.

Der 1714 geborene Carl Philipp Emmanuel Bach war fast dreißig Jahre lang im Dienst Friedrichs des Großen, wo man sich für Kirchenmusik nicht interessierte, und ab 1767 Musikdirektor der fünf Hauptkirchen in Hamburg. In dieser Zeit schrieb er je fünf Passionen der vier Evangelisten, sogar sechs Matthäus-Passionen. Die Spannung, die der jetzigen ersten Wiederaufführung im Rahmen des Musikfestes in der St. Wilhadi-Kirche vorausging, war dementsprechend riesig. Wie mochte das klingen, wenn man ein so überdimensionales Werk wie die Matthäus-Passion des Vaters im Ohr hat?

Carl Philipp Emmanuel hat sich die Texte der Arien von Anna Louise Karsch schreiben lassen und das erste, was auffällt, ist das von der Aufklärung beeinflusste vermenschlichte Christusbild. Das große Duett „Muster der Geduld und Liebe“ steht im inhaltlichen Zentrum des Werkes.

Den Evangelientext vertont Carl Philipp Emmanuel nicht so extrem dramatisch wie sein Vater, ist in den Arien, trotz einer empfindsamen und manchmal weit in die Klassik vorgreifenden Melodik, doch noch sehr der barocken Affektdarstellung verhaftet und übernimmt so Manches vom Vater, „weil man das nicht besser machen kann“: so einige Choräle und einige wenige Stellen aus den Volkschören wie „Kreuzige ihn!“.

Die Aufführung des Amsterdam Baroque Orchestras & Choir unter der äußerst kompetenten Leitung von Ton Koopman war wunderbar und machte deutlich, welche Bereicherung für das Musikleben – außerdem 50 Klavierkonzerte (!) – diese Funde sein werden. Wenn man weiß, dass Carl Philipp Emmanuel acht Sänger zur Verfügung hatte, ist es schade, dass hier ein Tenor sowohl die Arien als auch die Rezitative sang, dies allerdings machte Jörg Dürmüller großartig. Ebenso überzeugend sangen Klaus Mertens, Deborah York und Franziska Gottwald. Auch die Chorpartien sollen in der Uraufführung von den acht SängerInnen gesungen worden sein. „Das Herz rühren und die Leidenschaften regen“ wollte Carl Philipp: Das hat er an diesem Abend bei vielen ZuhörerInnen geschafft und wir freuen uns auf weitere Aufführungen aus dem einzigartigen Fund in Kiew.

Ute Schalz-Laurenze

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