DIE PDS IST MÜDE UND SUBSTANZLOS – ABER AUS DEM RENNEN IST SIE NICHT: Die unterschätzte Renitenz des Ostwählers
Es ist immer gut, wenn man in diesen unsicheren Zeiten noch ein paar Gewissheiten hat. Sie machen das Leben leichter und die Politik überschaubarer. Aus diesem Grund werden sie auch dann noch verteidigt, wenn sie von der Wirklichkeit ein paar Mal widerlegt worden sind. Zu diesen Quartalsgewissheiten, die alle vier Jahre wiederkehren, gehört die sichere Annahme, dass die PDS diesmal nicht in den Bundestag kommt. Dass es die Partei seit 1990 doch immer wieder geschafft hat, macht die Anhänger dieser Gewissheit nicht etwa vorsichtiger.
Im Gegenteil, sie basteln sich auch 2002 wieder ihr Bild von der armen, grauen, politisch substanzlosen PDS und analysieren jetzt schon kühl die Gründe für deren wahrscheinliches Scheitern: Die Partei habe mit Gysi ihren bunten Hund verloren. In der Flut habe nicht etwa die PDS ihre Ostkompetenz unter Beweis gestellt, sondern der Kanzler. Außerdem würden die hinterhältigen Wessis, ganz entgegen dem Vorurteil, für den Osten spenden und spenden. Und schließlich grabe Schröder mit seinem Antikriegskurs gegenüber dem Irak den PDS-Friedensengeln das Wasser ab.
Ja, ja, alles nicht verkehrt. Die PDS ist müde, grau und substanzlos. Gysis Abgang hat ihr geschadet. In der Flut ist sie abgesoffen. Schröders Irak-Kurs macht ihr zu schaffen. Aber die größtenteils westdeutschen Großanalysten vergessen, wenn sie sich kurz vor der Wahl mal schnell über ihr journalistisches Objekt beugen, einen kurzen Blick auf den müden, grauen, renitenten PDS-Wähler zu richten. Der verhält sich nämlich schon seit 1990 nicht so, wie das die Mehrheit der Westdeutschen gern hätte. Der fühlt sich von Gysi weniger verraten, als es dessen eitle Pose bei seinem Rücktritt vermuten lässt. In den Augen vieler seiner Wähler kämpft Gysi weiter für sie, zur Not sogar bei Sabine Christiansen. Und wer Schröders Chefsache Ost als gescheitert ansieht, der lässt sich nicht durch zwei Wochen gutes Flut-Krisenmanagment des Kanzlers beeindrucken. Das Gleiche gilt beim Irak: Viele Wähler, die sich bislang vom bequemen, einfallslosen Pazifismus der PDS angezogen fühlten, werden nicht gleich in Verzückung geraten, nur weil Schröder im Wahlkampf auf einen Antikriegskurs setzt.
Vielleicht macht ja Gysis Rücktritt den Westdeutschen mehr zu schaffen als ihren Brüdern und Schwestern im Osten. Ohne Gysi ist die PDS nicht mehr im Bewusstsein der westdeutsch geprägten Öffentlichkeit. Aber im Osten bleibt die Partei im Alltag verankert. Das allein garantiert ihr nicht den Einzug in den Bundestag. Aber es macht den Sprung über die Fünfprozenthürde wahrscheinlicher, als viele im Moment glauben. JENS KÖNIG
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