: Ersatz-Krisenstab rettet Dresden
Die Flut hat die Dresdner Behörden überfordert. Die Mitarbeiter eines Kulturprojekts sprangen ein und übernahmen spontan die Koordination von Hilfsangeboten und -gesuchen. Ihr Erfolg macht die Pannen der Verwaltung nur noch deutlicher
aus Dresden MICHAEL BARTSCH
Warum sie die Organisation der Hochwasserhilfe in Dresden übernommen haben? „Weil der Krisenstab gepennt hat“, meint Christoph Anders vom Kulturbüro Sachsen, der aussieht, als ob er selbst gern wieder einmal eine Nacht pennen würde. Ein Hinterhaus in der Dresdner Neustadt wurde zur Schaltzentrale der Hilfseinsätze. Die Ehrenämtler hier demonstrierten in den vergangenen Wochen nicht nur die Potenzen bürgerschaftlichen Engagements, sondern auch die Beschränktheit von Verwaltung.
Ironischerweise hatte der CDU-dominierte Stadtrat Anders und seinem Büro für freie Kulturarbeit vor zwei Jahren fast die gesamte Förderung gestrichen. Das Büro überlebte nur, weil die Mitarbeiter eine neue Aufgabe fanden: Umgetauft in Kulturbüro Sachsen, wird hier seit einem Jahr das Civitas-Bundesprogramm gegen Rechtsextremismus koordiniert.
Nach der Nacht vom 12. August improvisierten die Leute hier innerhalb weniger Stunden eine effiziente Logistik für die konkrete Hilfsvermittlung. Partner ist die Initiative für Dresden e.V., die aus eben aus jener Bürgerinitiave hervorging, die dem Liberalen Ingolf Roßberg im Vorjahr zum Sieg bei der Oberbürgermeisterwahl verholfen hatte.
In der Krise wuchs die Zahl der Helfer auf 150 an. Auf 10 Anlaufpunkte in Dresden waren sie verteilt. Allein im Büro saßen jeweils 20 Enthusiasten in drei Schichten rund um die Uhr am Telefon. Für 1.400 Anrufe täglich. Ein Tierarzt stellte seine Klinik mit acht Leitungen zur Verfügung. Binnen weniger Stunden war eine Datenbank aufgebaut, die bis heute 4.500 Hilfsangebote registriert. Trotz des teilweise gestörten Telefonsystems gelang eine Vernetzung, für die Verwaltungen sonst Jahre brauchen.
Anders blättert im Aktenordner mit den „Kuriositäten“ der Hilfsangebote und -anforderungen. Die usbekische Botschaft bietet 300 Portionen eines Nationalgerichtes für die Flutopfer an. Vor einer Dresdner Autobahnabfahrt wissen drei Vierzigtonner mit Sandsäcken nicht wohin. Ein Londoner Senior stellt die Wohnung eines kürzlich verstorbenen Verwandten zur Verfügung und übernimmt die Transportkosten. Und das Rote Kreuz in Essen will einen Hubschrauber samt Piloten schicken. Dem stehen ergreifende Hilfegesuche gegenüber: wie ein Fax, auf dem lediglich eine Handynummer und der schlichte Ruf „Hunger!“ notiert sind. Eine Kuriosität für sich sind die Hilferufe aus den städtischen Behörden. So bat der Krisenstab beim Kulturbüro um Helfer. Die Dresdner Feuerwehr-Leitzentrale nahm nicht übel, dass von hier aus 6 Züge aus dem thüringischen Ruhla zum sinnvollen Einsatz dirigiert wurden. Ortsamtsleiter wandten sich lieber an die Zentrale als an das Rathaus.
Torsten Dörnbach avancierte zum Herrn der Sandsäcke und rettete von der Stadt bereits aufgegebene Dämme. Vom Radlader bis zum geschmierten Brötchen wurde alles vermittelt. Kapituliert habe man eigentlich nur vor der Flugleitung des Essener Hubschraubers, sagt Anders.
Zur Entschuldigung der Stadt ist bestenfalls anzuführen, dass die Telefonzentrale im Rathaus bald versagte. Die weitgehende Funkstille zwischen der offiziellen und der ehrenamtlichen Parallelstruktur rechtfertigt dieser Umstand nicht. OB Roßberg immerhin besuchte das Büro und dankte herzlich. „Katastrophenschutz hat in den letzten zwölf Jahren kaum eine Rolle gespielt“, musste er jetzt in einer Diskussion einräumen.
Das Rathaus war nur sehr mangelhaft vorbereitet. Im Zusammenhang mit der von der Klinikleitung als unnötig abgelehnten Evakuierung des Universitätsklinikums wurde beispielsweise bekannt, dass die Verwaltung nicht einmal über eine exakte Höhenkartierung Dresdens verfügt. Drei Patienten des Klinikums haben Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Oberbürgermeister eingereicht.
Nach der langen Liste von Pannen erkennt die Stadtverwaltung jetzt zumindest die Arbeit des Ersatzkrisenstabes an. Das Kulturbüro zog am Wochenende in ein Gebäude der Technischen Sammlungen der Stadt und muss zumindest nicht mehr auf eigene Rechnung telefonieren.
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