: Abschreckung reicht nicht aus
Israels Oberster Gerichtshof urteilt in der Frage von Zwangsumsiedlungen. Die Verhinderung potenzieller Terroraktionen ist als Grundlage dafür zu wenig
JERUSALEM taz ■ Der Grund einer Abschreckung reichte den neun Richtern des Obersten Gerichtshofes in Jerusalem nicht aus, um eine Umsiedlung zu verordnen. In dem gestern einstimmig gefällten Urteil heißt es, dass der Wohnort eines „unschuldigen Verwandten, der keine Gefahr darstellt“, nicht bestimmt werden kann, selbst wenn diese Umsiedlung „andere von Terroraktionen abhalten könnte“.
Das Urteil fiel infolge der Petitionen dreier Familienangehöriger palästinensischer Terrorattentäter, gegen die die israelische Armee eine Verbannung in den Gaza-Streifen verhängt hatte. In zwei Fällen sahen die Richter eine Beteiligung an Terroraktivitäten gegeben und wiesen die Petitionen der Geschwister Ajuri ab. In dem dritten Fall konnte keine Verbindung zu Terroraktivitäten festgestellt werden. Die Richter hielten die Beweislage für eine „inadäquate Basis“ für den Umsiedlungsbefehl. In der Begründung wird der Begriff „Verbannung“ oder „Umsiedlung“ vermieden. Stattdessen sprechen die Richter von einer „Bestimmung des Wohnortes“, die unter den gegebenen Umständen Artikel 78 der Vierten Genfer Konvention entspreche.
Beim Verband für Bürgerrechte in Tel Aviv wurde das Urteil mit gemischten Gefühlen aufgenommen. „Wir sind froh, dass eine Abschreckung allein für die Verbannung nicht ausreicht“, kommentierte Tali Gur, Sprecherin des Bürgerrechtsverbandes. Als „problematisch“ bezeichnete Gur die Entscheidung, dass „es gerechtfertigt ist, den (abschreckenden) Einfluss dieser Maßnahme zu berücksichtigen“, wenn „die Person eine Gefahr darstellt“, wie es im Urteil heißt.
Laut Gerichtsbeschluss muss im Einzelfall geprüft werden, ob anstelle einer „Bestimmung des Wohnortes“ ein Strafverfahren möglich ist. Dass das nicht grundsätzlich praktiziert wird, nennt Gur eine „Schwachstelle im System“. Prozesse sind dann nicht gegeben, wo die Beweisdokumente „aus Sicherheitsgründen geheimgehalten werden“ und selbst von den Verteidigern nicht eingesehen werden dürfen.
Der juristische Analyst der „Stimme Israels“, Mosche Negbi, nannte das Urteil einen „Balanceakt zwischen der Wahrung von Menschenrechten und der Sicherheit für die israelischen Staatsbürger“. Die Armee habe „keinen Grund zur Freude“. Verteidigungsminister Benjamin Ben-Eliesar hatte vor der Verhandlung die zwangshafte Umsiedlung als „wirkvolles Mittel gegen den Terror“ bezeichnet. Der Verteidigungsminister berichtete am Morgen vor dem Kabinett von „Anzeichen palästinensischer Aktivitäten gegen den Terror“ im Gaza-Streifen. Zuvor hatte der neue palästinensische Innenminister Abdel Rassak Jehije erneut zu einer Beendigung der Gewalt gegen Israelis aufgerufen. Der Appell wurde von den Widerstandsgruppen zurückgewiesen. Auch die islamischen Extremisten lehnen einen Gewaltverzicht vorerst ab.
SUSANNE KNAUL
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen