Staat darf nicht Eltern spielen

Juristen kritisieren Konzept der geschlossenen Heime: Gesetz ermöglicht keine Unterbringung für ein Jahr. Gutachten: Entzug des Sorgerechts durch das Familien-Interventions-Team ist „hoch problematisch“ und möglicherweise sogar verfassungswidrig

von KAIJA KUTTER

Aus Juristenkreisen hagelt es Kritik an dem am Dienstag vom Senat beschlossenen Konzept der geschlossenen Heime. Wie berichtet, plant Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU), „Jugendliche in der Regel mindestens ein Jahr“ in der geschlossenen Unterbingung zu halten. Als rechtliche Grundlage soll der Paragraf 1631 b des Bürgerlichen Gesetzbuches dienen. Dieser ermöglicht bei Kindeswohlgefährdung einen Freiheitsentzug – aber, so die Kritiker, nicht für einen so langen Zeitraum.

Joachim Mehmel von der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer JuristInnen (ASJ) meldet „schwere rechtliche Bedenken“ an. Der Paragraf sei in der Fachwelt ohnehin umstritten, weil es sich bei Freiheits- und Kindesentzug um „intensive Grundrechtseingriffe“ handle. Vor allem aber „gibt es bundesweit keine Fälle, in denen dies länger als wenige Wochen gewährt wird“.

Es sei deshalb „überaus fraglich“, dass Hamburger Familiengerichte eine solche Entscheidung „zum Wohl eines Kindes“ fällen. Zwar erlaube der Paragraf und auch das Sozialgesetzbuch bei „Gefahrenabwehr“ auch einen Freiheitsenzug ohne richterliche Entscheidung. Diese müsse jedoch binnen 48 Stunden nachgeholt werden.

Rechtliche Bedenken neuer Art erhebt auch der Jura-Professor Christian Bernzen, der im Auftrag des „Bündnisses gegen geschlossene Heime“ und des Trägers Abakus ein Gutachten erstellt hat. Er hält die geplante Arbeit des „Familien-Interventions-Teams“ für „rechtlich hoch problematisch“. Das FIT sucht die Familien, in denen Kinder polizeilich auffällig geworden sind, zu Hause auf. Wenn die Eltern die Mitarbeit ablehnen, leitet das FIT die „stationäre Unterbringung im Rahmen der Erziehungshilfe“ ein, wie es im Konzept heißt: Das Kind kommt ins geschlossene Heim. Stimmen die Eltern dem nicht zu, wird ihnen das Sorgerecht entzogen und auf Vormünder übertragen, die im FIT „gesondert“ bereitstehen. Und hier liegt laut Bernzen der Knackpunkt, weil der Staat sich „an die Stelle der Eltern setzt“. Anders wäre dies, wenn auch private Vormünder wie Tanten oder Paten zugelassen wären. Bernzen: „Da ist aber nicht vorgesehen.“

Die Sache ist brisant. Denn gegen den Willen der Vormünder kann laut Bernzen auch ein Familiengericht die geschlossene Unterbringung nicht genehmigen. Vormünder, die dem FIT angehören, wären jedoch als Teil des Staates zu betrachten, der wiederum ein Interesse hat, die 300 Euro pro Tag teuren Plätze zu besetzen.

Der Jugendhilferechtsexperte hält es zudem für verfassungswirdig, dass die Eltern zur Kooperation gezwungen werden. Bernzen: „Es gibt hier keine Freiwilligkeit, weil die geschlossene Unterbringung schon vorgesehen ist.“ Eltern könnten deshalb gerichtlich gegen den Entzug des Sorgerechts vorgehen. Schnieber-Jastrams Gesetz verstoße hier gegen die Verfassung, die die Rechte der Eltern schütze – übrigens als eine Lehre aus der Allmacht der Nationalsozialisten in diesem Bereich.

Ein Teil der rechtlichen Bedenken sind in der Sozialbehörde bekannt. „Wir halten es vom Konzept her sinnvoll, ein Jahr vorzugeben“, sagt Behördensprecherin Anika Wichert. „Das soll keine Bestrafung sein. Wir sind eine Erziehungsbehörde.“ Letzlich müssten über die Dauer aber die Familiengerichte entscheiden.