USA als Rechtsbrecher am Pranger

Bremer Rechtsanwalt fordert eine politische Intervention der Antiterror-Allianz gegen die Missachtung des Völkerrechts auf Guantanamo. Auch neun Monate nach der Internierung eines türkischen Bremers kennt niemand die Gründe

„Die USA müssen mit diesem Black-Box-Verfahren Schluss machen“

Guantanamo „ist ein selbstherrlich geschaffener, rechtsfreier Raum“. So kritisierte der Bremer Rechtsanwalt Bernhard Docke gestern die Verhältnisse im Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba. Im US-Militärstützpunkt werden seit rund neun Monaten knapp 600 Personen als verdächtige Taliban-Kämpfer festhalten, darunter der 20-jährige Bremer Murat Kurnaz.

Bis heute kennt niemand konkrete Vorwürfe oder Beweise gegen den jungen Bremer mit türkischem Pass. Deswegen trat Docke gestern vor die Presse. „Ich appelliere an die USA, Schluss mit diesem Black-Box-Verfahren zu machen.“ Auch die Türkei und das Auswärtige Amt müssten sich dafür einzusetzen, dass „die Informationssperre und die unbefristete Inhaftierung“ auf Guantanamo aufgehoben werde.

Zuvor hatte Docke die Lage dargestellt: Ihm werde die Kontaktaufnahme zu seinem Mandanten verweigert. Niemand kenne die Grundlage für dessen Inhaftierung. Die Haftgründe würden offenbar von keinem Richter überprüft – im Gegenteil haben zwei US-Gerichte geurteilt, für das karibische Eiland nicht zuständig zu sein. Die Situation sei völkerrechtswidrig. Dies bestätigen Amnesty International und internationale Rechtsexperten. Docke forderte, die Staaten der so genannten Antiterror-Allianz müssten eine politische Lösung herbeiführen. „Ich erwarte keine juristische Klärung“, sagte Docke. Dabei brachte er gestern neben vielen Fragen auch entlastende Argumente vor.

So hat der für Terrordelikte zuständige Generalbundesanwalt die Ermittlungen gegen Kurnaz und andere Bremer Extremismus-Verdächtige vor Monaten erst gar nicht an sich gezogen. Nach Ansicht der deutschen Ermittler hatte Kurnaz weder Kontakte zur Hamburger Terrorzelle noch zu Al Qaida. Auch die nun wieder federführende Bremer Staatsanwaltschaft konnte den Anfangsverdacht auf „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ gegen Kurnaz und zwei weitere Personen offenbar nicht erhärten. Bis heute wurde kein Strafverfahren eröffnet. Dabei hatte mindestens ein Tatverdächtiger mit Kurnaz nach Pakistan reisen wollen. Seine Ausreise war zufällig geplatzt. Ein weiterer soll den jungen Mann als für Ussama Bin Laden „angeworben“ und ihm das Flugticket nach Pakistan bezahlt haben. Dort geriet sein Mandant in Gefangenschaft, so Docke. Möglicherweise sei er von Truppen der Nordallianz festgenommen und gegen ein Kopfgeld an die Amerikaner übergeben worden. Dies könnte sich aus der Vernehmung pakistanischer Internierter durch pakistanische Entsandte nach Guantanamo ergeben. Pakistan hatte daraufhin die Entlassung von 55 von insgesamt 58 Internierten gefordert, die keinen Kontakt zu den Taliban gehabt hätten.

„Murat wollte an einer arabischen Koranschule studieren“, sagte gestern seine Mutter. Sie ist verzweifelt. Ihr hat zwar das Auswärtige Amt geschrieben – für einen türkischen Staatsangehörigen aber ist die Türkei zuständig. Und deren Behörden geben zu vermeintlichen Taliban-Kämpfern mit türkischem Pass keine offizielle Stellungnahme ab. Unter türkischen Journalisten kursiert derweil die Aufforderung, von dem Thema „die Finger zu lassen“.

So steht die Mutter des Bremers allein, wenn sie betont: „Mein Sohn versteht nichts von Waffen und spricht kein Arabisch. Zum Kämpfen hätte man ihn nicht gebrauchen können.“ Nur drei Briefe hat sie vom Sohn bekommen. „Darin stehen eher Belanglosigkeiten“, sagt der Anwalt. In keinem habe der Sohn bestätigt, ob er selbst je einen Briefe erhielt. ede