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Mysteriöser Tod bei Razzia in Altona

60-jähriger herzkranker Türke stirbt während einer Durchsuchung seiner Wohnung. Angehörige beschuldigen die Polizei der fahrlässigen Tötung, die spricht von tragischem Unglück. Innenausschuss der Bürgerschaft nimmt sich heute des Vorfalls an

von HEIKE DIERBACH

Für die Polizei ist es ein tragischer Unglücksfall, für die Angehörigen fahrlässige Tötung: Bei einer Durchsuchung seiner Wohnung hat ein 60-jähriger Deutschtürke am Mittwochmittag einen tödlichen Zusammenbruch erlitten. Sein Sohn beschuldigt die Polizei, ihn daran gehindert zu haben, seinem Vater rechtzeitig Medikamente zu geben – obwohl er die Beamten informiert habe, dass der 60-Jährige schwer herzkrank war. Die Beamten bestreiten dies.

Die Durchsuchung richtete sich gegen die Ehefrau des Mannes: Ayla Y. wird verdächtigt, sich 1998 falsche Atteste besorgt zu haben, um eine Erwerbsunfähigkeitsrente zu bekommen. In diesem Zusammenhang ermittelt die Staatsanwaltschaft auch gegen ihren Arzt und rund 100 weitere PatientInnen. Zwei KriminalbeamtInnen waren bereits etwa zwei Stunden in der Wohnung in der Altonaer Notkestraße, als der Vater der Familie, Halim Y., aus dem Urlaub zurückkehrte. Soweit stimmen die Berichte beider Seiten überein.

Die Familie schildert den weiteren Verlauf nach Angaben ihres Rechtsbeistandes Thomas Diedrich wie folgt: Der 35-jährige Sohn Erdinc Y., selbst Rettungssanitäter, wollte seinen Vater unten vor der Haustür empfangen, um ihn vorzubereiten und ihm die schweren Koffer abzunehmen. Das sei ihm von den BeamtInnen untersagt worden. Als der Vater die Wohnung betrat, habe er sich sehr aufgeregt. Die BeamtInnen hätten Halim Y. angewiesen, sich in das Zimmer des Enkels zu setzen. Sein Sohn durfte nicht zu ihm und auch keine Medikamente holen. Erst, als es plötzlich sehr still in dem Zimmer wurde, habe er eintreten dürfen – da lag sein Vater auf dem Boden. Der herbeigerufene Notarzt konnte ihn nicht mehr retten.

Laut Polizeibericht klingt die Szene ganz anders: Der Vater sei nach Hause gekommen und habe sich freiwillig und „ganz ruhig“ in das Zimmer begeben, sagt Polizeisprecher Reinhard Fallak: „Alle Personen konnten sich in der Wohnung frei bewegen“, von einer Herzerkrankung habe keiner etwas gesagt. Plötzlich hörten die BeamtInnen merkwürdige Geräusche aus dem Zimmer und fanden den 60-Jährigen auf dem Boden. Der Enkel, der hinzu kam, habe sie dann beschuldigt, seinen Großvater getötet zu haben. Fallak kann sogar verstehen, „wenn die Familie in ihrem Schmerz jetzt einen Schuldigen sucht“.

Für Diedrich ist diese Schilderung „von A bis Z gelogen“. Die Familie könne ihre Version mit den Aussagen zweier NachbarInnen untermauern, die sie als ZeugInnen für die Hausdurchsuchung herbeigerufen hatte. „Wenn man den Vater betreut hätte, würde er heute noch leben“, ist Diedrich überzeugt. Die Familie wird die BeamtInnen wegen fahrlässiger Tötung anzeigen.

Die Staatsanwaltschaft hat unterdessen ein Todesermittlungsverfahren eingeleitet. Die Obduktion des Leichnams gestern hat ergeben, dass der 60-Jährige einen Herzinfarkt erlitten hat – nach dem vorläufigen Ergebnis aber bereits ein oder zwei Stunden vor seinem Tod.

Auch die Politik nahm sich gestern des Falles an. Der GAL-Abgeordnete Manfred Mahr hat eine kleine Anfrage gestellt, um die Todesumstände „unverzüglich aufzuklären“. Auch die SPD-Fraktion fordert „lückenlose Informationen“. Ihr innenpolitischer Sprecher Michael Neumann warnte aber vor Vorverurteilungen. Er will den Fall auf der heutigen Sitzung des Innenausschusses ansprechen.

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