themenläden und andere clubs
: Firmenpleiten, Insolvenzen, das große Clubsterben würde drohen

Was wäre das Nachtleben ohne Gästelisten

Jetzt wo wir uns damit abfinden müssen, dass der Sommer, so groß er auch nicht war, endgültig vorbei ist, heißt es nach vorne schauen, sich auf die Vergnügungen des Herbstes und auf die winterliche Ballsaison freuen.

Ein Konzert jagt das andere, die Releasepartys häufen sich, das Maria macht wieder auf, das WMF ist umgezogen, fast könnte man schon wieder über ein Überangebot klagen. Anlass genug, um an dieser Stelle wieder über Konstanten und Mythen, Trends und Säulen des Ausgehbetriebs zu sinnieren.

Eine Säule des Ausgehbetriebs ist die allseits beliebte Gästeliste. Dabei ist die Gästeliste auf den ersten Blick für alle Beteiligten eine eher umständliche Sache. Für die Künstler bedeutet es Stress, wie viele dürfen drauf, wen kann man streichen, geht plus eins, bloß keinen vergessen. Die Gästelistenbetreuer am Einlass müssen in bis zu fünf verschiedenen handgekritzelten Listen wühlen. Die Gäste ihrerseits stehen dumm herum, warten ewig, bis sie identifiziert werden, ziehen sich in der langsam verrinnenden Zeit den Hass und den Sozialneid der normal Bezahlenden zu.

Aber was würde passieren, wenn die Gästeliste, die Gäli, wie wir Insider sie liebevoll nennen, abgeschafft würde? Ohne Gästeliste würde die ganze Partybranche, das ganze Konzertwesen zusammenbrechen, kein Mensch würde noch zum Konzert gehen. Leute, die man bis dato für wahnsinnig populär gehalten hatte, würden vor leeren Hallen auftreten, Firmenpleiten, Insolvenzen, das große Clubsterben.

Mit der Gästeliste wird Nachfrage vorgetäuscht, die Besucherzahlen werden geschönt und alle sind zufrieden. Schließlich finden die meisten Veranstaltungen doch nur für die Gäli statt, zur Stabilität von Geschäftsbeziehungen und der Stärkung des Zusammmengehörigkeitsgefühls. Bei einzelnen Untergrundkonzertveranstaltern hat sich schon durchgesetzt, dass die Gäli einen symbolischen Preis bezahlen muss, so kommt bei einer Zweihunderter-Gästeliste wenigstens ein bisschen Bares rein.

Gästelistenschmarotzer, die sich unter Vortäuschung journalistischer Lebenspraxis einschleichen, nie berichten, aber immer wieder auf die Gäli wollen, werden in der Regel bald enttarnt und für immer geächtet. Gäli-Anfängern sei gesagt, dass ein selbsterniedrigendes Insistieren „Ich muss aber drauf stehen! Er hat es mir doch versprochen!“ sich von selbst verbietet, schick ist, immer draufzustehen ohne darum gebeten zu haben, eher uncool wirkt, wer telefonisch um Gäli-Plätze bettelt.

Ursprünglich hatten die Gäli-Leute auch eine wichtige Funktion : Im „Rent-a-Fan-Prinzip“ dienten sie als Füllmenge vor der Bühne, als Eintänzer auf dem Dancefloor, als Gesellschafter am DJ-Pult. Leider sind professionelle Gäli-Nutzer auch nicht mehr das, was sie mal waren. Meistens stehen sie heute nur gelangweilt in den Fluren herum oder greifen backstage die Getränke ab.

Dass die Sache mit der Gäli auch nach hinten losgehen kann, weiß man ja von Jonathan Richman. Das traurige Lied „Not Just a ‚Plus One‘ on the guestlist anymore“ erzählt die Moritat von der Freundin, die ihn verließ, weil sie es leid war, immer nur seine „Plus eins“ auf der Gäli zu sein. CHRISTIANE RÖSINGER