: „Die wollten Nazis platt machen“
34-jähriger Mechaniker steht wegen schweren Landfriedensbruchs vor Gericht. Er soll zu einer Gruppe von Punks gehört haben, die Neonazis überfielen. Der Angeklagte: „Ich war nicht dabei.“ Zeugen revidieren frühere Aussagen
So schnell, wie er kam, war der Spuk auch wieder vorbei. Zurück blieb eine Gruppe blutender Neonazis, die bei einem Überfall von 25 bis 30 Punks so heftig mit Baseballschlägern, Äxten und Eisenstangen verdroschen worden waren, dass einige von ihnen mit Schädel- und Nasenfrakturen ins Krankenhaus kamen. Der Überraschungsangriff war am 24. Mai 2001 auf dem ehemaligen Gelände der GUS-Streitkräfte in Karlshorst erfolgt. Dort hatte eine Gruppe von 17 Rechten den Himmelfahrtstag mit Alkohol begossen.
Vor einer großen Strafkammer des Landgerichts muss sich nun ein erwerbsloser Mechaniker wegen schweren Landfriedensbruchs verantworten. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der 34-jährige Michael P. an dem Angriff beteiligt war und mit einem Holzknüppel auf einen der Rechten eingeschlagen hatte. Anders die Verteidigung: Für sie steht mit Michael P. der Falsche vor Gericht. Der Mechaniker war damals der Einzige, der nach dem Überfall in dem angrenzenden Waldgelände der Wuhlheide festgenommen worden war. Die Punks hatten alle rechtzeitig das Weite gesucht.
Er habe mit dem Überfall nichts zu tun, versicherte der korpulente Angeklagte, der rein optisch gar nichts mit einem Punk gemein hat. Er sei an Himmelfahrt auf einem Fest in der Wuhlheide gewesen und habe Fußball gespielt, als plötzlich jemand gerufen habe: „Wir werden angegriffen.“ Er sei mit einem morschen Knüppel in den Wald hineingelaufen, habe sich aber in der Wuhlheide verirrt. Auf einem der Wege war Michael P. auf eine Gruppe von Neonazis gestoßen, als der Überfall schon stattgefunden hatte. Die unverletzt gebliebenen Männer waren auf der Suche nach den Angreifern ausgeschwärmt. Er sei von ihnen zu Boden geworfen, als „autonome Drecksau“ beschimpft und „fast massakriert“ worden, sagte der Angeklagte. „Es war mein Glück, dass die Polizei kam.“ Am Donnerstag wurden auch die Zeugen vernommen. Mehr als zehn überwiegend Kurzgeschorene marschierten im Gerichtssaal auf. Bei ihrer früheren polizeilichen Vernehmung waren die Rechten noch ausgesprochen zurückhaltend gewesen, was eine Identifizierung von Michael P. als Täter anging. Einzig eine 19-jährige Angestellte wollte gesehen haben, dass der Angeklagte in der ersten Reihe der Angreifer mit dabei war.
Gestern stand die junge Frau mit dieser Aussage plötzlich nicht mehr allein. Nun waren sich auch mehrere ihrer Kumpane sicher, Michael P. beim Knüppelschwingen gesehen zu haben. „Dass ich damals etwas anderes gesagt habe, kann ich heute nicht mehr nachvollziehen“, sagte einer der Zeugen. Dass der Staatsanwalt zunehmend ungehaltener wurde und auf den Widerspruch verwies, interessierte den süffisant lächelnden jungen Mann nicht.
Auch was seine Zugehörigkeit zu den Neonazis angeht, wollte der Zeuge mit dem spiegelglatten Kopf plötzlich nicht mehr mit der Sprache heraus. Bei der Polizei, von der er damals nach dem Grund des Überfalls befragt worden war, hatte er noch freimütig erklärt: „Die haben ein paar Drogen genommen und wollten Nazis platt machen.“
Der Angeklagte rutschte bei der Vernehmung der Zeugen unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Seine Verteidigerin musste ihm immer wieder beruhigend die Hand auf den Arm legen, um ihn von ungehaltenen Zwischenbemerkungen abzuhalten. Der Beginn des Prozesses hatte sich um mehrere Stunden verzögert, weil der Angeklagte nicht erschienen war. Er musste von der Polizei vorgeführt werden. Er habe verschlafen, entschuldigte er sich. Später hatte er noch hinzugefügt, dass er Beruhigungsmittel nehme. Der Prozess wird am kommenden Donnerstag fortgesetzt. PLUTONIA PLARRE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen