: Realität üben
In virtuellen Welten lernen Auszubildende des Jugendausbildungszentrums die kaufmännische Realität kennen. Zwar ohne Waren im Keller, aber mit reellen Chancen auf einen Arbeitsplatz
von ANNIKA SEPEUR
Wie in einem typischen Büro sieht es hier aus: Aktenschränke unterteilen den Raum in verschiedene Abteilungen, Computer stehen auf den Tischen. Nur klingelnde Telefone fehlen in dem Großraumbüro, denn die Auszubildenden des Jugendausbildungszentrums (JAZ) in Hammerbrook arbeiten nicht für einen Betrieb, sondern für die Übungsfirma „Hansekontor an der Alster“.
Hier lernen Jugendliche, die aus unterschiedlichen Gründen auf dem Ausbildungsmarkt keine Chance haben. Trotzdem verlassen 20 Prozent der ungefähr 260 Azubis das JAZ schon nach einem Jahr und beenden die dort begonnene Ausbildung in einem regulären Betrieb. Die anderen lernen die marktwirtschaftliche Realität ihres Berufes weiterhin im Übungsunternehmen kennen.
Von neuen Berufsfeldern wie dem/der Kaufmann/frau für Bürokommunikation oder IT-Systemkaufmann/frau bis zum/ zur klassischen Bürokaufmann/ frau kann man sich hier in verschiedenen kaufmännischen Berufen ausbilden lassen. Europaweit handeln Übungsfirmen miteinander in der virtuellen Handelswelt. Neben den Firmen gibt es auch virtuelle Banken und eine Wirtschaftsprüfung. Deshalb müssen Steuern gezahlt, Rechnungen, Bestellungen und Abmahnungen geschrieben werden. Außer dem persönlichen Kundenkontakt und dem Wissen, dass die gehandelten Waren nicht im Keller lagern, fehlt es im Hansekontor an nichts.
Orientierungstafeln an jedem Arbeitsplatz informieren über die Handelsabläufe und helfen, sich der einzelnen Arbeitsschritte immer wieder zu vergewissern und selbstständig zu arbeiten. Katharina Eckhard hatte sich die Ausbildung zur Bürokauffrau zuerst „schwerer vorgestellt“. Doch Tafeln und Kollegen helfen ihr, kleine Probleme schnell zu lösen. Auch die sozialpädagogische Betreuung nimmt die 23-jährige Mutter gerne in Anspruch. Wer sich mit Behördengängen schwer tut oder durch ein eigenes Kind besonders belastet ist, findet bei der JAZ-Sozialpädagogin Unterstützung. Alleine schon die Möglichkeit, bei Krankheit ihres Kindes unkom-pliziert Sonderurlaub zu bekommen, beruhigt die junge Mutter und lässt sie gelassen auf die zwei noch kommenden Jahre ihrer Ausbildung blicken.
Das JAZ als Gesellschaft der Grone-Stiftung bereitet Jugendliche entweder in drei- bis zehnmonatigen Kursen auf ihre Ausbildung vor oder bildet sie in dreijährigen „Erstausbildungen“ selbst aus. Dafür müssen eine Reihe von Kriterien erfüllt sein, die gemeinhin unter „Benachteiligung“ zusammengefasst werden. Für die Ausbildung zur IT-Systemkauffrau reicht beispielsweise, eine Frau ausländischer Herkunft mit mittlerem Schulabschluss und maximal 25 Jahre alt zu sein. Nur wer sich beim Arbeitsamt meldet, kann ins JAZ gelangen. Dort werden zunächst die Stärken und Schwächen der zukünftigen Azubis zusammengestellt, um einen geeigneten Ausbildungsplatz zu finden.
Oft haben die Bewerber beim JAZ schon zahlreiche Vorstellungsgespräche hinter sich und müssen zunächst einmal ihre Fähigkeiten und ein Selbstbewusstsein wieder entdecken. Dass die Stadt das Programm unter dem Namen „Benachteiligtenförderung“ finanziert, finden Ausbildungsleiter Oliver Kohrs und Prokurist Klaus Krämer deshalb nicht sehr zuträglich. Kohrs erklärt, dass es in erster Linie da-rum ginge, Jugendlichen ihre Chancen erkenntlich und greifbar zu machen. Deshalb können beispielsweise Schwächen in Englisch, Deutsch und Mathematik durch zusätzlichen Unterricht behoben werden.
Auch Zeynep Celikel war lange auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz. Nach einem Praktikum bei einem türkischen Anwalt war die 22-Jährige auf den Geschmack gekommen und bewarb sich acht Monate vergeblich um einen Ausbildungsplatz zur Rechtsanwaltsfachfrau. Denn mit einem Kopftuch sei es schwer, erzählt sie. Man habe es ihr natürlich nie direkt gesagt, aber Celikel ist sich sicher, dass ihr Kopftuch ihr den Start in die Ausbildungswelt so schwer gemacht hat. „Jetzt macht mir meine Ausbildung zur IT- Systemkauffrau großen Spaß, auch weil sie zukunftssicher ist“, meint Celikel, die noch eineinhalb Jahre Ausbildung vor sich hat.
Und auch die Quote stimmt: Drei von vier Auszubildenden werden nach ihrer Zeit im JAZ von ganz realen Firmen eingestellt.
Und noch einige Ausbildungsplätze zur IT-Systemkauffrau wollen besetzt werden:Informationen beim Arbeitsamt oder unter www.grone.de.
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