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Nazis stoppen

Nicht nur der Berliner ist für seine Unfreundlichkeit bekannt – auch im Umland ist nicht alles Gold, was freundlich glänzt, zum Beispiel in Eberswalde: Die Geschichte einer Catering-Mitarbeiterin, die plötzlich in andere gefährliche Verlegenheiten kommt

von SARAH SCHMIDT

Vor einiger Zeit habe ich für den Film gearbeitet. Mein Job war nicht vor der Kamera, auch nicht dahinter, eher knapp daneben. Im Kloster Chorin wurde ein Kinofilm gedreht, und ich habe für den Kulissenbau das Catering gemacht. Beim Film ist ja alles hip und modern, weswegen es wohl auch ganz hip und modern Catering und nicht bloß Kochen heißt.

Chorin ist in der Nähe von Eberswalde, und dorthin führten mich meine täglichen Fahrten auf der Suche nach Nahrung, Alkohol und Werkzeugen. Eberswalde ist bekannt als Faschostadt, und das kann ich nur bestätigen. Täglich musste ich mich enorm zusammenreißen, wenn vor mir junge Recken mit Springerstiefeln, Glatze und White-Proud-Jacken über den Zebrastreifen liefen. Da nicht aufs Gaspedal zu treten …

Mit der restlichen Bevölkerung des Städtchens habe ich mich gestritten. Täglich. Angeblich sind ja die Berliner für ihre Unfreundlichkeit bekannt, weshalb ich mich die ersten zwei Tage auch dafür verantwortlich fühlte, dass mir bei den Einkäufen kein freundliches Wort begegnete. Ob im Zigarettenladen oder an der Wursttheke, nie sagte jemand „Bitte!“, oder lächelte, oder machte gar einen kleinen Witz. Ich war sicher, dass es an mir liegt. „Mensch Sarah, jetzt sei doch mal nett zu den Menschen, du vertrittst hier schließlich die Hauptstadt“, sagte ich mir und war am dritten Tag superfreundlich. Es half nichts, und von da an wusste ich, Brandenburg wird Berlin bald ablösen, als grantelndes Volk. Praktisch jede Äußerung von mir, die über das Bezahlen hinausging, wurde als Unverschämtheit gewertet. „Ich hätte gerne noch eine Tüte“ beispielsweise wurde mir als arrogante Großkotzigkeit ausgelegt.

Aber auch beim Film ist nicht alles schön. Nach einer Woche, in der die Kulissenbauer alleine vor sich hingewerkelt haben, kam der Rest der Crew. Etwa 70 Menschen, die sich Beleuchter, Kameramänner oder Requisite nannten. Es heißt ja immer, beim Film seien alle blöd. Ich kann nur sagen: Das stimmt. Zum Beispiel turnten unglaubliche Mengen von Mädchen unter 29 auf dem Gelände herum.

„Was machen die denn alle? Haben die irgendwas zu tun?“ fragte ich abends beim Lagerfeuer.

„Das ist der Harem vom Regisseur“, wurde ich aufgeklärt.

In den nächsten Tagen beobachtete ich die Mädchen. Jedes hatte ein Funkgerät und ihre Aufgabe war es, sich miteinander zu unterhalten, damit ein Gefühl von großer Aktivität auf dem Platz aufkommt. Der Regisseur versuchte mich zu überreden, für seine Mädels mitzukochen.

„Nein, das geht leider nicht.“

Schließlich war unsere Aufgabe, abends am Lagerfeuer über alle anderen zu lästern, was schlecht geht, wenn alle anderen dabei sind. Dann lernte ich, das Menschen vom Film nicht nur eingebildet und doof sind, sie sind auch völlig weltfremd. Abends gab es bei uns immer noch eine Suppe, und einmal wurde aus Versehen auch dem Regisseur ein Teller angeboten. Es gab Blumenkohlcremesuppe. Dann kostete er.

„Oh, ist das lecker. Das schmeckt ja wunderbar!“

„Ja, danke, es ist nur Suppe.“

„Ja toll, Lauchsuppe, die mag ich am liebsten.“

„Nee, das ist Blumenkohl“, klärte ich ihn auf.

„Ach, Blumenkohl, auch lecker, aber sag mal, wie sieht denn eigentlich Blumenkohl aus?“

Was soll man dazu sagen? Ich entschied mich für gelb-braun und schleimig.

Doch eine wichtige Sache ist auch noch passiert. Ich konnte die Faschos stoppen! Wir mussten einen 10 Meter langen Baum vom Straßenrand holen, den der Regisseur auf einer Fahrt entdeckt hatte.

„Der ist so wunderbar, den bau ich gleich mit ein. Holt ihr den mal eben?“

Dazu musste die Hauptverkehrsstraße gesperrt werden, und das war meine Aufgabe. Ich zog eine orangene Weste an, bekam eine Fahne in die Hand und stoppte Autos, wenn es nötig war. Meistens war es nicht nötig. Ich sah mir die vorbeifahrenden Autofahrer an und bemerkte, wie viele Nazis in ihren Golfs und Kadetts an mir vorbeirauschten. Plötzlich war es sehr nötig, sie aufzuhalten. Ich hielt meine Fahne hoch und schrie: „Stopp!“ Das Wunder geschah, vor mir standen 10 Autos auf einer ansonsten völlig leeren Straße und warteten.

„Was ist denn los?“

„Allgemeine Gefahrenabwendung!“

„Ach so.“

Es ist doch gar nicht so schwer, die Nazis zu stoppen.

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