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Rotorblätter für die Welt

In nur sieben Jahren ist Enercon India zur Nummer zwei unter den indischen Herstellern aufgestiegen. Das deutsch-indische Joint Venture exportiert auch Rotorblätter und Elektronikkomponenten

In diesem Jahr bricht für Enercon India eine neue Ära an: In ihrer Produktionshalle 1 in Daman, 160 Kilometer nördlich von Mumbai (Bombay), beginnt die Serienproduktion des 300-Kilowatt-Typs der E-30. Sie löst damit das 230 Kilowatt (kW) große Vorläufermodell ab, von dem 400 Stück produziert wurden. Schon seit Frühjahr 2001 bauen die Inder in der Fertigungshalle „Unit two“ die E-40 zusammen.

„Von der E-40 haben wir in den ersten zwölf Monaten 150 Stück für den indischen Markt hergestellt“, zieht Yogesh Mehra eine Zwischenbilanz. Der Chef von Enercon India setzt besonders auf diese Anlagengröße. „Die Megawattklasse ist jetzt noch nichts für Indien“, positioniert der 44-Jährige seine mittelfristige Strategie auf dem indischen Subkontinent.

Dabei arbeitet das deutsch-indische Joint Venture, an dem die deutsche Mutterfirma zu 56 Prozent beteiligt ist, längst nicht nur für den indischen Markt, sondern auch für den Export. Im letzten Jahr verließen 600 Rotorblätter für die E-40 das Werk in Daman: Verladen im Hafen von Mumbai werden sie mit Containerschiffen nach Hamburg gebracht. Von dort werden sie dann nach Emden transportiert, wo sie im Auslieferungswerk der Rotorblattfertigung GmbH einen letzten Qualitäts-Check durchlaufen.

Derzeit verlassen täglich zwei Rotorblätter das Werk in Daman. Während tagsüber verladen wird, wartet der Fahrer die Dunkelheit ab, bevor er sich mit der überlangen Flügelfracht auf die Straße wagt. Denn sonst wäre ein Fortkommen auf den chronisch verstopften Straßen nur im Schneckentempo möglich. Nachts immerhin schafft der Fahrer – mit dem nötigen Beistand der Götter – die Tour nach Mumbai mit einem Durchschnittstempo von 25 Stundenkilometern. Trotz dieses verkehrstechnischen Handicaps ist Daman, einst Teil der früheren portugiesischen Kolonie Daman & Diu und heute der Unionsregierung in Delhi unterstellt, wegen seiner Steuerfreiheit von vielen Unternehmen begehrt.

In so unternehmerfreundlicher Atmosphäre darf Ganesh, der elefantenköpfige Gott für Geschäftserfolg und Gesundheit, auch beim Windkraftanlagenhersteller nicht fehlen: Ein rotes Exemplar des populären Hindu-Gottes steht in einem Schrein neben der Eingangstür. Mitarbeiter machen vor der Arbeit ihr „Puja“, das kurze Gebet mit der Gottheit. Erst dann geht es an die Arbeit.

Enercon India wächst kräftig. Ein knappes Drittel des indischen Marktes für Windkraftanlagen bedienen Mehra & Co. bereits. Zudem nimmt der Export von Rotorblättern zu, weshalb die Produktionshalle derzeit vergrößert wird. „Mit dem Anbau können wir die Fertigungsabläufe weiter optimieren“, freut sich der verantwortliche Manager für die Blattproduktion, Harish Mondal. „In den nächsten 18 Monaten wird eine dritte Halle entstehen, wo wir Blätter für die E-66 und E-70 herstellen wollen“, greift Mondal schon mal vor und denkt an China als künftigen Absatzmarkt.

Vom Expansionskurs ist die multireligiöse Belegschaft aus Hindus, Muslimen, Christen und Jains fest überzeugt. „Ich sehe hier für die nächsten 20 bis 25 Jahre eine großartige Perspektive“, sagt Elektrotechniker Nihit Mistry, der für den Export Blattregel-, Blattrelais- und Akkuschränke für E-40 und E-66 zusammenfügt, stellvertretend für seine Kollegen. Deren Jobs sind begehrt. Auf Stellenanzeigen in Zeitungen trudeln in wenigen Tagen gewöhnlich mehr als 100 Bewerbungen ein.

Die Zuversicht hat gute Gründe. Wenngleich bis Januar 2002 in Indien lediglich 1.500 Megawatt (MW) Leistung aus der Windkraft kommt, wird das Windpotenzial auf magische 45.000 MW beziffert. „Von diesen 45.000 MW halte ich in den nächsten zehn Jahren zwischen 10.000 und 15.000 MW für realistisch umsetzbar“, beurteilt Mehra die Aussichten in Indien, wo bisher vor allem gute Abschreibungsmodalitäten zu Investitionen im Windgeschäft lockten.

In Zukunft wird ein neues Elektrizitätsgesetz eine Schlüsselrolle spielen, das derzeit noch erarbeitet wird. Waren die Energiebehörden und Netzbetreiber bisher nicht verpflichtet, Ökostrom einzuspeisen, beabsichtigt der jetzige Minister für erneuerbare Energie in der indischen Zentralregierung, Shri M. Kannappan, dies zu ändern: Die Einspeisung von mindestens 10 Prozent Strom aus regenerativen Energien soll zum Mindesttarif gesetzlich vorgeschrieben sein. „Zur Finanzierung ist eine Abgabe in Form einer Nachhaltigkeitssteuer für die Nutzung fossiler Energien vorgesehen“, erläutert der Minister. Damit will man unter anderem auch die Abhängigkeit Indiens, dessen Energiebedarf in den nächsten Jahren gewaltig steigen wird, vom Import fossiler Brennstoffe mindern. DIERK JENSEN

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