: Der Hebel zur Entwicklung
Indien fehlt es an fossilen Ressourcen wie Kohle und Erdöl. „Bis 2010 wollen wir 10 Prozent des Energiebedarfs aus regenerativen Energien decken.“ Interview mit dem indischen Minister für erneuerbare Energien, Shri M. Kannappan
Seit 1999 ist Shri M. Kannappan Minister des MNES (Ministry of Non-Conventional Energy Sources) in der Koalitionsregierung von Premierminister Atal Behari Vajpayee. Der 64-jährige Agrarökonom kommt aus dem südindischen Bundesstaat Tamil Nadu. Die taz sprach mit ihm über das bisher weltweit einzige Ministerium dieser Art und über die Pläne Indiens zur Nutzung erneuerbarer Energiequellen.
taz: Was hat Indien bewogen, vor zehn Jahren als weltweit einziges Land ein eigenes Ministerium für erneuerbare Energien einzurichten?
Shri M. Kannappan: Indien fehlt es an fossilen Rohstoffen wie Kohle und Erdöl. Unser Land gibt für deren Import Unmengen an Devisen aus. Dieser missliche Zustand und die wachsenden Probleme mit den fossilen Brennstoffen zwangen die indische Politik schon früh zur Erkenntnis, dass der Hebel für die Entwicklung alternativer Energiequellen in unseren natürlichen Ressourcen liegt. Um nun die vielen Ansätze zur Nutzung der unendlichen Kraft der Natur gut koordiniert voranzubringen, schuf man dieses Ministerium.
Welches Ziel verfolgen Sie beim Ausbau der Ökoenergien in den kommenden Jahren?
Der Energiebedarf unserer Bevölkerung und Industrie wächst ständig. Indien braucht bis zum Jahr 2012 allein im Stromsektor eine Kraftwerkskapazität von 100.000 Megawatt. Davon wollen wir 10 Prozent aus regenerativen Quellen decken.
Ein ambitionierter Plan. Klappt die Umsetzung?
Mein Ministerium hat Richtlinien an alle Bundesstaaten geschickt, um den Bau von Ökokraftwerken zu unterstützen. Der Rücklauf aus den verschiedenen Bundesstaaten, von Entwicklern und Investoren hat uns Mut gemacht und zu einer aktuell installierten Leistung von rund 3.400 Megawatt aus regenerativen Energiequellen beigetragen. Das Potenzial ist allerdings viel größer. Es gibt aber Schwierigkeiten in einigen Bundesstaaten wegen der Errichtung einer staatlichen Regulierungsbehörde für Elektrizität.
Was heißt das konkret?
Ein hemmender Faktor ist, dass die staatlichen Energiebehörden nicht verpflichtet sind, Ökostrom in ihr Netz einzuspeisen. Und freiwillig kaufen sie den regenerativen Strom nicht zum höheren Tarif ein. Um die Nutzung erneuerbarer Energien schneller voranzubringen, hat unser Ministerium eine Richtlinie für die Regenerative-Energie-Politik vorbereitet. Überdies benennt das neue, fast fertige Elektrizitätsgesetz verschiedene Optionen, mit denen der Ausbau der Ökoenergien beschleunigt werden soll. Dazu gehört ein gesetzlich vorgeschriebener Mindestanteil regenerativer Energien im Stromnetz von etwa 10 Prozent, der zum festgesetzten Mindesttarif von den Netzbetreibern gekauft werden muss.
Ihr Land hat in der Vergangenheit beispielsweise Investoren von Windkraftprojekten Steuervorteile eingeräumt. Ist nun eine direkte finanzielle Unterstützung für deren weiteren Ausbau vorgesehen?
Die angesprochene Richtlinie sieht vor, dass ein nationaler Fonds für erneuerbare Energien geschaffen wird. Zur Finanzierung ist eine Art „Nachhaltigkeitssteuer“ für die Nutzung fossiler Energien vorgesehen. Der Fonds soll genutzt werden, um den höheren Preis für regenerative Energien zu stützen.
Indien gehört schon heute zu den Top Ten der Länder mit der höchsten Windkraftnutzung. Wie groß ist das Potenzial?
Das Windkraftpotenzial wird auf rund 45.000 Megawatt geschätzt. Das aktuelle technische Potenzial, das die Verbreitung der Versorgungsnetze in den windstarken Gebieten berücksichtigt, liegt bei etwa 13.000 Megawatt. Das wäre – gemessen am derzeitigen Ausbaustand von etwa 1.500 Megawatt – ein gewaltiger Sprung nach vorne.
Sie haben neben Wind auch viel Wasser. Welche Rolle spielt die Wasserkraft?
Wir haben im Rahmen der Mobilisierung erneuerbarer Energien vor allem kleine Wasserkraftprojekte bis zu 25 Megawatt Leistung auf der Rechnung. Bisher erzeugen diese Kleinkraftwerke rund 1.423 Megawatt, an die 800 sollen in den nächsten fünf Jahren hinzukommen. Insgesamt hat die Wasserkraft in Indien einen Anteil von rund 25 Prozent an der gesamten Stromerzeugung. Diese Quote muss noch gesteigert werden, um den Spitzenbedarf decken zu können.
Heißt das auch, dass Sie auf umstrittene Staudammprojekte wie am Narmada-Fluss in Zentralindien setzen, wo einer Million Bauern und Ureinwohnern die Vertreibung droht?
Wasserkraftprojekte wie das im Narmada-Tal sind wichtig für die Entwicklung des Energiesektors im Land. Trotz allem müssen aber Umweltaspekte und die Bedürfnisse der Bevölkerung sorgsam mit einbezogen werden.
Und wie verhält es sich mit dem Ausbau der Biomasse ?
Beim Bau kleiner Biomassevergasungsanlagen sind indische Entwickler weltweit führend. Ihre Anlagen werden heute nicht nur in Asien exportiert, sondern auch nach Europa und in die USA. Im Programm zur Elektrifizierung abgelegener Ortschaften wird die Biomassevergasung eine entscheidende Rolle spielen. Bis zum Jahr 2012 hat sich die Regierung zum Ziel gesetzt, rund 18.000 Dörfer zu elektrifizieren. Zudem betreuen wir das weltweit größte Kraft-Wärme-Kopplungs-Programm, und zwar in Zuckerfabriken, wo Energie aus den Produktionsresten erzeugt wird. INTERVIEW: DIERK JENSEN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen