: „Es ist immer Try and Error“
Der gerade Beat ist heute keine Heilsbotschaft mehr, sondern bedeutet nur noch Unterdrückung und Abfüttern: Ein Gespräch mit dem Techno-DJ Westbam über die vielen Discos in seinem Kopf und die altbackenen Fortschrittsgedanken der Technoszene
von ULF LIPPITZ
Auf Ihrer Platte steht ganz groß: Das ist ein Gegenentwurf. Was hier nicht steht: Gegen wen oder was richtet er sich?
In der Frage habe ich jetzt schon Übung. Es gibt zwei Arten, Rock- und Popmusik zu produzieren. Die erste, die zumeist auf DJs zutrifft, ist: Man hat einen bestimmten Ort, also einen Club vor Augen. Bei meinem letzten Album war es das E-Werk. Als Befreiungsschlag gegen das Techno-Fortschrittsding habe ich da Elektro, Disco und Achtziger gemischt. Attraktiver finde ich es allerdings jetzt, das ist die zweite Art, in den eigenen Kopf hineinzugehen und dort die Disco zu machen. Also Disco im Sinne als Ort, wo man Platten auflegt, nicht als Musikstil. Ich weiß, ich habe die Freiheit, alles zu benutzen und zwar für etwas Spezielles – für ein organisches, genaueres Statement.
Sie wollen sich vom Eklektizismus im eigenen System befreien?
Absolut. Ich meine, der DJ ist ja von Natur aus Eklektiker. Stellt sich die Frage: Muss man da verharren? Man muss den Fokus verändern, um zu neuen spannenden Ergebnissen zu kommen.
In „Mix, Cuts und Scratches“ schreiben Sie von der „Heilsbotschaft des geraden Beats“. Gibt’s den noch in Ihrem Entwurf?
Gute Frage. Der schwingt natürlich mit. Er ist definitiv das Ding, das von Disco bis zur Raving Society, also von 1974 bis 1994, alles nach vorne getrieben hat. Aber ich glaube, heute ist man an einem Punkt von wirklich amtskirchlicher Wiederholung und Indoktrination angekommen. Anfang der Achtziger haben sich die Leute gefragt: „Also wie soll man darauf tanzen? Ist ja immer derselbe Rhythmus.“ Heute ist die Situation so, dass sich die Leute gar nicht vorstellen können, anders zu tanzen: Es muss ja immer derselbe Rhythmus sein. Ich aber finde die Euphorie über den Wegfall der alles betonenden Viertel-Bassdrum großartig. Die Leute merken, es fehlt etwas, nachdem es zwanzig Jahre da war.
Ist die Zeit des geraden Beats vorbei?
Das kann man so nicht sagen. Die Wahrheit ist: Alle Beats sind zu allen Zeiten immer da. Es liegt nur an der Betonung. Ein bestimmter Beat ist zu einer bestimmten Zeit mit etwas Bestimmten besetzt. Für mein Empfinden ist das Viertel-Tretmühlenartige, was irgendwann mal Theorie der Befreiung war, heute die Theorie der Unterdrückung und Abfütterns.
Brauchen wir einen Gegenentwurf?
Ich habe das Gefühl, die Stimmung ist da. Die ganzen Sachen in Berlin, teilweise mit deutschen Texten, finde ich spannender, weil sie von der Entwicklung, die man sich einst für Techno vorgestellt hat, undenkbar weit entfernt sind. Es ist innerhalb des Techno-Kontextes extrem untraditionell mit Stimmen zu arbeiten. Nach dem Techno-Glaubensbekenntnis der frühen Neunziger hat man ja gedacht, man könnte Techno mit Technik gleichsetzen. Neue Software und neue Technologien gleich neue Sounds. Es wird immer krasser, schräger und abgefahrener. Das ist eine zu bequeme Ideologie. Ich habe schon 1997 gesagt, die spannenden Entwicklungen im Techno kommen dadurch, dass man Brüche zulässt.
Hat die menschliche Stimme Techno einen Strich durch die Rechnung gemacht?
Die Stimme ist ein Aspekt. Wenn man sie zehn Jahre nicht gehört hat, entwickelt sie plötzlich einen ungeheuren Charme. Dasselbe gilt für alle möglichen Instrumente. Man hat sie vergessen, wegrationalisiert oder denkt, sie überwunden zu haben. An diesem Fortschrittsgedanken halten noch viele Leute fest und fragen: Dürfen wir denn das und war Techno nicht einst gegen Rock ’n’ Roll?
Eine Idee, die Sie selbst vertreten haben.
Das stimmt. Das war aber zu einem bestimmten Zeitpunkt ein künstlerisch wertvoller Ansatz, aber kein Dogma bis zum Rentenalter. Vorzeichen ändern sich. Die Welt und ihre Werte ändern sich. Damit spielen Kunst und Kultur. Das ist ja das Tolle. Kunst reagiert auf diese Veränderung und daraus entsteht Neues. Techno kocht teilweise in seiner eigenen Suppe und stagniert in manchen Bereichen. Die DJ-Kultur hat neue Hierarchien anstelle einer Demokratisierung geschaffen.
Schimmert da Enttäuschung durch?
Nein, das sind sich wiederholende Mythen von allen Musikgeschichten. Als die Stranglers „No More Heroes“ gesungen haben, waren sie doch auch die Helden auf der Bühne und da standen hunderte junge Leute im Publikum, die gejubelt haben. Es stimmt schon. In den letzten zehn Jahren hat sich ein bestimmter DJ-Erbadel festgesetzt, zu dem auch ich gehöre.
In den Achtzigern haben Sie mit Karl-Marx-T-Shirts aufgelegt.
Ja, als Teenie war ich von Karl Marx begeistert. Heute geht das nicht mehr.
Wer ist heute Teil Ihrer Lebensphilosophie?
Arthur Schopenhauer, der ist was für die jungen Leute von heute. Irgendwo hat sich doch alles in Richtung Individualismus gewandt, und Schopenhauer hat ja gesagt, wie man als Einzelner glücklich werden kann. Marx ist dagegen der Philosoph des Ganzen: wie die ganze Gesellschaft glücklich werden soll – was sich die letzten Jahre natürlich extrem entlarvt hat.
War Ihr Ansatz zur Musik früher eine Protesthaltung?
Ja und nein. Aber nicht gegenüber meinen Eltern. Den Generationskonflikt habe ich woanders ausgetragen. In dem Text „Was ist Record Art?“ von 1984 habe ich gesagt, dass es eine bestimmte Kunst für Kunst interessierte Leute gibt. Als Beispiel habe ich Genesis P-Orridge im Synthie-Pop genannt, der seinen Fans ins Gesicht pisst, und alle finden das toll. Weil alle darauf vorbereitet sind. Ich aber wollte etwas machen, das total avantgardistisch sein sollte, womit ich mich aber trotzdem vor den balzenden Pöbel in der Popkultur stellen kann.
Sie legen also in Ihrer Arbeit mehr Wert auf Funktionalität als auf Experimentalität?
Ja und nein. Heute ist für mich Funktionalität Trance. Das lehne ich total ab. So wie bei Blank und Jones, wo alle auf den Trommelwirbel warten und eine dressierte Crowd für ein Gute-Laune-Theater ohne wirkliche Emotionen sorgt. Vieles was als angeblich experimentell gilt, ist doch hundertmal abgesichert. Als wir damals Marusha mit „Somewhere Over The Rainbow“ veröffentlichten, war das etwas Unerhörtes und Experimentelles. Es gab keine Rave-Cover-Version! Ungeheure Dinger wie die Dominanz von Motor Music und die Karriere von Tim Renner sind darauf aufgebaut. Wenn ich heute höre, Elektro sei so kommerziell geworden, sorry, dann zeige mir mal einer fünf Discos in Deutschland, wo am Wochenende Elektro gespielt wird. Das ist alternative Musik! Nena und Westbam aber strahlen eine gewisse Funktionalität aus. Das werden wir an den Charts-Platzierungen sehen. Es ist immer eine Frage von Try and Error. Warum wird aus DJ Ötzi ein Hit und warum funktioniert nur eine Lil-Louis-Nummer? Kultur ist ein experimentelles Feld.
Einer Ihrer Slogans lautet: Lest keine Oden, lest die Charts! Hier die deutschen Top Five. Herbert Grönemeyer, „Mensch“.
Für mich der deutsche James Brown. Er schreit sich die Seele aus dem Hals. Offensichtlich fühlen die Leute das persönliche Leid des Menschen Grönemeyers. Es elektrisiert sie. Ein schönes Beispiel für gute populäre Kultur.
Eminem, „Without Me“.
Das finde ich nun gerade – obwohl ich großer Dr.-Dre-Fan bin – eines der schlechteren Stücke.
Shakira, „Underneath Your Clothes“.
Irgendwie schaue ich hier mit perverser Lust zu.
Groove Coverage, „Moonlight Shadow“.
Das ist ärgerlicher Schrott. Es steht in der Tradition von Marusha. Nur haben wir die Cover-Version als Loop vom Original verstanden. Strophe und Refrain eins zu eins zu übernehmen und eine Marschmusik darunter zu legen – das ist abstoßend. Hier wird sich stumpf bereichert.
Massive Töne, „Cruisen“.
Das gefällt mir wunderbar. Allein das Lautmalerische und die Freude am Umlaut: toll!
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