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Die Tage sind licht und voll der Qual

Man könnte auch sagen: Die Zukunft ist Terror, die Gegenwart ist Terror und die Vergangenheit ist auch Terror. Auf diese Weise ermöglicht das Netz des Terrors dem Individuum, zu existieren als mediale Vermittlung. Eine Geschichte aus gegebenem Anlass

von VOLKER FRICK

Türen fielen ins Schloss. Nun war ich hier. Ich hatte das oft genug im Kopf durchgespielt. Ein entferntes Telefonklingeln. Mir konnte gar nichts geschehen, solange ich den Mund hielt. Immerhin war es ihnen gelungen, mich in einer Wirklichkeit wieder zu finden, die nicht meine war, und natürlich fragte ich mich, wie es geschehen konnte, ahnte aber sogleich, dass es für mich interessant werden könnte die Gegenseite kennen zu lernen. Dem vermeintlichen Desaster seinen freien Lauf zu lassen. Ich konnte in dieser Situation nichts mehr tun. Sie suggerierten mir es zwar, aber ich spürte dahinter nur meinen Genickbruch. Ich ließ mich also darauf ein. Gab ihnen die Vorstellung von etwas, das sich in ihrem Kopf gebildet hatte. Es ging eigentlich nur darum, schneller zu sein.

***

Walt blickt in diesem Moment auf das Papier vor ihm nieder und liest, was er am Morgen in diesem Appartement, das er spät nachts unter falschem Namen bezogen hatte, auf einer Karte notiert hat: Heute also fuhr ich wieder nach Manchester zurück, um Dienstag mit Monica Fey nach Stockholm zu bringen, von wo sie, wenn alles planmäßig über die Bühne geht, nach Kenia fliegen wird. Ich habe keinerlei Interesse, dich auf die Schnelle zu sehen.

Walt schaltet den Fernseher aus. Er nimmt das Schlüsselbund vom Tisch, die Karte, wirft sich die Jacke über die Schulter. Walt bringt den Wagen vor einem Kino zu stehen. Arndale Center. Die Fassade des Kinos strahlt Licht aus, zu locken ins Dunkel der bewegten Bilder. Walt kauft sich ein Billett. Es laufen drei Filme diese Nacht. Ein Ort, wo man die Zeit verbringt – Filme brauchen keine Zuschauer. Es riecht. Das Licht verlöscht. Der erste Film So easy for the slaves beginnt. Ein Mann in einem Flugzeug. Später erfährt der Zuschauer: auf dem Flug nach Amman, wo der Mann im Hotel Jerusalem absteigt, wie er später mit einer mysteriösen Frau in Jerusalem im Mount Zion Hotel nächtigt. Es laufen drei Filme diese Nacht. Walt schiebt den Koffer unter den Sitz. Dann verlässt er den Vorführraum, fährt mit der Rolltreppe nach unten, und da es regnet, setzt er sich in das Café. Er nimmt Papier und Stift zur Hand und schreibt einen Brief.

***

„Hier, ein Foto.“

Ein Raum, weiße Wände. Eine Frau sitzt nackt auf dem Boden, umgeben von einer Unzahl von schwarzen Hunden.

„Kann ich es behalten?“

„Wozu?“

„Eine biografische Fiktion: Anschläge pro Minute.

Percy nickt. Federico schaut ihn an.

„Ein Geist geht uns voran. Ein Schatten folgt uns. Und immer wenn wir innehalten, fallen wir.“ Percy nickt. Federico blättert weiter in den Papieren. Jeder erzählte seine Geschichte. Er aber versuchte kläglich etwas festzuhalten, was längst ihm entfallen war.

***

Ein dunkler verhangener Nachmittag in der Halle eines Flughafengebäudes. Ein kaum merkbar abgetrenntes Areal. Frankfurt am Main. Wartend auf den Aufruf nach Tel Aviv. Es riecht nach Kerosin. Tags zuvor war in Haifa ein Bus gesprengt worden. 17 Tote. Tags zuvor war ich aus New York kommend in Paris gelandet. Ich stolperte geschwind die Treppen aus der Pariser Metrostation ans Licht. Ein dunkler verhangener Nachmittag, und ich hatte an Nerval denken müssen, der sich in dieser Stadt am Gitter eines Toilettenfensters erhängt hatte, an Gilles, der sich in dieser Stadt auf die Straße stürzen würde. Auf dem Rollfeld läuft ein Mann seinem Hut hinterher. Sie lacht hell auf, schließt die Augen und fährt sich mit den Fingern durch ihre strähnig-nassen Haare.

„Wir sind nur erfunden.“

„Wir?“

„Wir. Erfunden. Wir existieren überhaupt nicht. Allenfalls auf dem Papier. Dokumente, Ausweise. Wir selbst sind Informationsträger, Hüllen. Unser Körper ist unser Leichentuch, und was wir suchen, ist unser Grab. Wir leben alle in einer Stadt. Freunde und Bekannte. Wir schreiben Briefe, telefonieren, schlängeln durch Texturen. Diese ganzen medialen Vermittlungen entfernen uns von Kommunikation. Es gibt keine Nachricht. Vielmehr ist die Nachricht reine Schöpfung des Empfängers. Der wichtigste Mensch ist immer der, mit dem ich spreche.“ Sie schaut mir tief und sehr lange in die Augen.

***

„Öffnen Sie bitte die Tasche.“

Ich öffne die Tasche, nehme den Stapel loser Blätter des Manuskriptes heraus und biete mit der rechten Hand die Durchsuchung der Tasche an.

„Danke.“

Ich lege den Stapel Blätter zurück, schließe die Tasche und gehe.

***

Abendliche Ankunft im Hotel Diplomat in Tel Aviv. Sie hatte mir noch am Flughafen ihr Hotel genannt. Ich lege mich auf das Bett und schlafe ein. Der Ort des Geschehens ist ein geschlossener und bestimmter Raum … Klares Bewusstsein, dass man keine Überlebenschance hat; völliges Scheitern, das zu vermitteln … Ich versuche zu schreien. Das Telefon schrillt, ich sehe meine Hand den Hörer ergreifen.

„Ja?“

„Hallo?“

„Wer ist denn dran?“

„Mit wem spreche ich denn?“

Es ist Cathleen. Natürlich, wir sind verabredet. Kurze Zeit danach, die Welt im Kopf in finsterer Nacht zu Fuß, drehe ich mich immer wieder um. Möglicherweise ist die zirkuläre Frage das effektivste Instrument, das in einer transformativen Konversation verwendet werden kann. Ich überschreite die Stadtgrenze. „Ich kann das nicht mehr.“ Sie verdreht die Augen. „Nachts träume ich, aber das sind keine Träume mehr, jemand drückt mir einen Lauf in den Nacken, dabei ist es nur die Waffe unter meinem Kopfkissen. Ich schlafe kaum noch. Ich kann nicht mehr. Ich weiß, ich muss da raus. Die Zukunft ist der Terror. Die Gegenwart ist Terror. Die Vergangenheit ist der Terror. Alles sehr individuell, willkürlich und rational begründet. Das Netz des Terrors ermöglicht es dem Individuum, zu existieren als mediale Vermittlung.“

„Federico wird dasein.“

Stille.

„Janet. Ich habe sie in Beirut getroffen. In der Nacht. Sie stand auf einem Balkon, aus dem Raum dahinter drang Licht. Es war das einzige Licht in dieser Nacht, in dieser Stadt, die vollständig im Dunkeln lag. Ich fand das in jeder Hinsicht …“

***

Ich addiere die Schatten und stoße auf neue Brennpunkte. Seltsam, aber ich werde tun, was ich geträumt habe. Ich bin gerade aufgewacht und rufe Pearl an.

„Alles Blödsinn“, sagte sie, „und radikal ist auch nicht dasselbe wie revolutionär. Das ist alles nichts, was du machst. Wenn man etwas nicht kann, dann sollte man es lassen.“

„Die Aktion kommt von außerhalb. Wenn wir hier nicht rauskommen, geschehen schreckliche Dinge.“

Wir sprechen lange miteinander, aber ich habe das Gefühl, dass von uns beiden einer woanders ist. Janet verschwand während des Fluges von Tripolis nach Tripoli. Cathleen ist tot. Ich sage Pearl, dass ich noch einen Tag bleibe.

„Ich bin ihnen ausgeliefert. Restlos ausgeliefert. Sie sind jetzt hier, und ich kann nichts machen. Ich bin machtlos. Sie können kaufen, wen sie wollen, betören, wen sie wollen, sie gewinnen immer. Ich weiß, was es ist, rede mir aber ein, dass es das nicht sein kann. Je mehr ich mich bewege, je mehr ich kämpfe, je verzweifelter mein Widerstand … Allah – Ich blute am ganzen Körper, meine Haut zerkratzt, zerrissen und erschlagen, und ich frohlocke in dem Schmerz, dem sein größter Triumph noch bevorsteht. Ich brenne auf die Wirklichkeit, die noch kommen soll.“

***

Ich lebe fast völlig in Einsamkeit. Die Nächte und Tage verbringe ich fast ganz ohne Schlaf. Ich lese. Terrorist action is not so much an example of lawlessness as a comment on the rules, an aspect of the structure itself.

Damals auf dem Flug von Damaskus las ich in internationalen Zeitungen und Zeitschriften.

„Kann ich Ihnen noch etwas bringen?“

„Einen Tee, ja, warum nicht.“

Der Keks eingeschweißt. In Moskau ist’s 27 Grad warm. Die Stewardess heißt Sonia und ist mit einem arabischen Genossen verheiratet. Ich lege die Zeitung beiseite, schmunzele und gehe den Gang entlang. Eine merkwürdig fremde Szene. Ich habe das präzise Gefühl, mich auf etwas zuzubewegen, das als konkrete Situation all die Jahre auf mich gewartet hat.

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