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Bauen in Babel

Was wird aus dem Gelände des World Trade Centers? Millionen Wünsche, tausende Pläne, keine Lösung

von EVA SCHWEITZER

Es wird immer New Yorker geben, die unzufrieden sein werden mit dem, was einmal anstelle des World Trade Centers neu entstehen wird. Nichts wird ihnen gut genug sein. Dies gälte sogar dann, wenn das Gelände nicht mit komplizierten Besitzverhältnissen und Wünschen überfrachtet wäre. Dabei waren die zerstörten Zwillingstürme kaum mehr denn ungeliebte, kostenträchtige Klötze. Als sie errichtet wurden – 1966 – schrieb Ada Louise Huxtable, die große alte Dame der Architekturkritik: „Die Türme könnten der Beginn eines neuen Wolkenkratzer-Zeitalters sein, oder die größten Grabsteine der Welt.“

Das Areal ist inzwischen sechs Stockwerke tief ausgeschachtet und sieht ziemlich genau so aus wie der Potsdamer Platz in Berlin vor fünf Jahren. Und die New Yorker wollen alles zugleich: einen lebendigen neuen Stadtteil, mit Kulturbauten, Parks, Wohnhäusern, dazu eine markante Skyline mit genauso viel Bürofläche wie zuvor, die Rekonstruktion des Straßengrundrisses von 1950, ohne die „footprints“, die Grundrisse der Zwillingstürme anzutasten, und ein Memorial, das die Opfern trauern lässt und die Anwohner nicht an einen Friedhof erinnert. Wer soll so etwas entwerfen?

Alle planen mit

Nicht, dass es keiner versuchen würde, im Gegenteil. Was New York prägt, ist das Bedürfnis, überall mitzureden, mehr noch: Die ganze Welt an der Debatte teilnehmen zu lassen. Tausende von normalen Bürger, aber auch gestandene Architekten fühlen sich berufen, auf Websites, in Leserbriefen, in Beiträgen für Galerien, Universitäten oder Architekturvereine Entwürfe für ein neues World Trade Center zu produzieren.

Der neueste Vorschlag stammt vom New York Times Magazine, unter der Aufsicht des Architekturkritikers Herbert Muschamp, der zuvor alles niederkartätscht hat, was von offizieller Seite vorgelegt wurde. Die Times hat zwanzig Architekten – darunter Peter Eisenman, Steven Holl, Zaha Hadid, Richard Meier, Rem Koolhaas, und Maya Lin – gebeten, nicht nur das Ruinengrundstück, sondern gleich die halbe Downtown von Manhattan zu beplanen. Ergebnis: Neben den „footprints“ sollen zwei neue Türme stehen, gleich hoch wie die Twin Towers (400 Meter), aber eigentümlich gedreht und gestaucht. Im Westen des Areals hat Eisenman kleinere Hochhäuser geplant, noch herber zusammengedrückt. „Das soll den Schock des Einschlags nachzeichnen“, sagt er. Henry Cobb entwarf einen Fernsehturm, ein 700 Meter hohes Stahlgerüst. Damit hätte New York wieder das höchste Gebäude der Welt. Die übrigen Vorschläge sind teils postmodern, teils dekonstruktivistisch. Eine Chance auf Verwirklichung hat allenfalls Maya Lins Memorial. Die „footprints“ als zwei gigantische Wasserbecken, aus denen Strahler die Silhouetten der Twin Towers nachzeichnen könnten.

Die Dimension, mit der New York sein eigenes Leiden medial verarbeitet, hat etwas Beängstigendes. Man hat das Bedürfnis, sich der eigenen Stärke zu versichern. Amanda Burden, die Stadtplanungsrätin, sieht den Anschlag auf das World Trade Center ganz ernsthaft als zweites Hiroshima. In einer Vortragsreihe an der Columbia University wurde die Attacke mit den Kriegszerstörungen von Dresden, Berlin, Tokio, Beirut und Hanoi verglichen.

Das Verlangen nach Superlativen spiegelt sich auch in den Wiederaufbauplänen wider. Bauherrin ist die Hafenbehörde, die „Port Authority von New York und New Jersey“. Der gehört auch der Grund und Boden.

Miete wird noch bezahlt

Die Port Authority hat für den Wiederaufbau die Lower Manhattan Development Corporation (LMDC) geschaffen. Deren Aufsichtsrat ist mit Immobilienentwicklern und Bankern besetzt, etwa John Whitehead, früherer Manager bei Goldman-Sachs, Carl Weisbrod, Planer des neuen Times Square, und Richard Grasso, Chairman der New Yorker Börse, der gerade Ärger wegen Insidertrading hat. Dazu Robert Harding, Sohn eines politischen Verbündeten des früheren Bürgermeisters Rudy Giuliani. Ob diese Leute das künstlerische Potenzial und die menschliche Sensibilität haben, das Areal angemessen zu beplanen?

Dazu kommt, dass die LMDC einen Klotz am Bein hat. Larry Silverstein, den 72-jährigen Pächter, der nach wie vor brav seine 10 Millionen Dollar Monatsmiete zahlt, aber schmerzhaft unterversichert ist. Sieben Milliarden Dollar will er von seinen Versicherungen, zwei Milliarden haben sie ihm angeboten. Die LMDC wird wohl Silverstein früher oder später herauskaufen. Aber noch hält er Grund. Vorerst hat er das Architektenbüro Skidmore, Owings und Merrill mit dem Bau des ersten Wolkenkratzers beauftragt. Dafür sind inmitten des Chaos schon mal die ersten Kräne aufgefahren.

Aber auch die LMDC schafft Tatsachen. Sie hat das New Yorker Architektenbüro Beyer, Blinder, Belle beauftragt, sechs Hochhausvarianten für ein neues World Trade Center vorzulegen. Allesamt fielen sie bei eine Bürgerversammlung im Juli durch. Nun hat die LMDC Architekten aus der ganzen Welt um Vorschläge gebeten – bauen soll jedoch weiterhin Beyer, Blinder, Belle, die sich aus den Ideen der Kollegen die Rosinen herauspicken dürfen. „Die Baustelle ist so groß und kompliziert, das kann kein auswärtiges Büro“, hieß es. Nur in New York glaubt man so was. Der neue Termin für ein endgültiges Konzept ist nun Ende November. Mal sehen.

Eva Schweitzer arbeitet als freie Journalistin in New York

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