: „Streit ist bei uns nicht erlaubt“
Ein Derby-Abend mit den Fußballkönigen, Münchens einzigem Fanklub, der der „unparteiischen Teilnahme“ frönt
MÜNCHEN taz ■ Fußballfans sind hämische Menschen. Als am Dienstagabend das 196. Stadtderby in München angepfiffen wird, malen die Anhänger des FC Bayerns mit zehntausend Plastiktüten ein großes Bild auf die Tribüne. Darauf steht: „100 Siege – Wann gebt ihr endlich auf?“ Es ist eine Beleidigung in den Farben Rot und Weiß. Die Antwort bleibt nicht aus. Die 20.000 blau gekleideten Menschen stecken ihre Finger in den Mund und pfeifen. Es ist die alte Frontlinie der Farben. Der FC Bayern gegen den TSV 1860 München. David gegen Goliath. Bürgertum gegen Arbeiterverein.
Zum selben Zeitpunkt in einer Eckkneipe im Münchner Westen. Auch hier steht der Fußball im Mittelpunkt. Doch die Farben Rot und Blau sieht man nicht; die 50 Männer im Lokal tragen alle die gleichen T-Shirts. „Münchner Fußballkönige“ steht darauf. Das T-Shirt ist gelb, ganz neutral. „Wir sind der einzige Fanklub in München, der alle drei großen Vereine unterstützt“, sagt Eduard Wagner, der Präsident der „Fußballkönige“. Er sitzt am Stammtisch des Vereinslokals, an der Deckenlampe darüber hängen sechs Vereinswimpel. Der FC Bayern, der TSV 1860, die Spielvereinigung Unterhaching – jeder Verein hat zwei Wimpel. Ganz gerecht geht es da zu. An diesem Derbytag ist die kleine Eckkneipe der friedlichste Platz in München.
„Ich bin ja eigentlich ein Roter“, sagt Eduard Wagner. Doch als 1860 in der 14. Minute das 0:1 erzielt, schlägt Wagner nicht die Hände über dem Kopf zusammen, sondern er klatscht sogar. Ein bisschen zumindest. „Ich freue mich über jedes schöne Tor“, sagt er. Unparteiische Teilnahme nennt man das – so steht es auch im Regelbuch des Vereins. 31 Mitglieder stehen mittlerweile auf der Liste, Fans aller Vereine. „Wir sehen unsere Aufgabe durchaus global“, sagt Wagner, der eine Vorliebe für große Worte hat. Auf der Mitgliederliste finden sich deshalb auch Fans des 1. FC Nürnberg oder sogar von Borussia Dortmund.
Anfang der zweiten Hälfte geht der FC Bayern mit 2:1 in Führung. Doch während im Stadion die 1860-Fans in Hassgesänge auf den Schiedsrichter und Nationalspieler Thomas Linke ausbrechen, bleibt die Stimmung in der Kneipe gut. „Natürlich wird auch mal diskutiert“, erzählt Wagner – über die Vereine, über Schwächen und Stärken, über glorreiche Siege und verdiente Niederlagen. „Es sind aber nur die üblichen Sticheleien unter Freunden“, erzählt der Präsident. „Streit ist bei uns nicht erlaubt.“
Vielleicht sind die „Münchner Fußballkönige“ der Endpunkt einer Entwicklung. Schließlich sind die ideologischen Gegensätze im Fußball schon lange verschwunden, schon weil alle dem gleichen Gedanken folgen: dem Wunsch nach einer guten Bilanz und schwarzen Zahlen. Deshalb können der FC Bayern und der TSV 1860 auch zusammen ein Stadion bauen. Das Bauwerk wird an den Spieltagen die Farben wechseln, wird die Illusion schaffen, die Welt sei noch heil, vollkommen blau – oder rot. Diese Illusion ist wichtig, der Fußball lebt von seinen Konflikten. Diesem Gefühl, plötzlich einen Gegner zu haben.
Eduard Wagner hat das nie verstanden. „Am wichtigsten ist doch eigentlich das Spiel selbst, und nicht das Drumherum“, sagt er. Nach 90 Minuten steht es 3:1 für den FC Bayern. Die Fußballkönige schütteln sich die Hand. „Ein 1:1“, sagt Wagner zum Abschied, „das wäre schön gewesen.“ TOBIAS MOORSTEDT
FC Bayern München: Kahn - Sagnol, Kuffour, Linke, Lizarazu - Salihamidzic, Jeremies (83. Fink) Ballack, Zé Roberto (74. Hargreaves) - Elber, PizarroTSV 1860 München: Jentzsch - Meyer, Riseth (67. Ehlers), Costa, Pürk (59. Suker) - Borimirow (79. Lauth), Kurz, Cerny - Häßler - Max, SchrothZuschauer: 69.000; Tore: 0:1 Max (14.), 1:1 Salihamidzic (40.), 2:1 Pizarro (53.), 3:1 Elber (75.)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen