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Kindergeld kürzen? Eine Blase steigt

Willi Lemke würde gern die Eltern von Schulschwänzern mit finanziellem Druck an ihre Pflichten erinnern. Aber die Juristen halten von der Idee wenig. Die SPD-Genossin Heide Simonis empfiehlt den Bremern, Lemkes Idee nicht ernsthaft zu diskutieren

Während die von der Großen Koalition beschlossene Wende der sozialdemoratischen Bremer Schulpolitik überregional kaum auf Interesse stieß, machte der kleine Satz über die mögliche Streichung von Kindergeld für Schulschwänzer bundesweit Schlagzeilen. „Gegebenenfalls“, heißt es in dem Koalitionspapier umständlich, müsse der Senat im Bundesrat initiativ werden, um „auch finanziell spürbare Sanktionen“ zu ermöglichen „einschließlich einer Prüfung beim Kindergeld“.

Die Reaktion kam postwendend: „Reserviert“ steht Niedersachsen der Bremer Idee gegenüber und verweist darauf, dass es ja derzeit schon das Instrument des Bußgeldes gebe. Hamburg und Schleswig-Holstein lehnten dann klar ab: „Ich kann mir kaum vorstellen, dass im Bremer Senat ein solcher Vorschlag ernsthaft erwogen wird“, sagte Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD). „Die Zahlung von Kindergeld erfolgt, um Familien mit Kindern die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.“ Simonis wertete das Kindergeld als Teil des Sozialstaatsprinzips. Die bildungspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, Bettina Pawlowski, lehnte die Bremer Initiative als „kontraproduktiv“ ab. Das Problem des Schwänzens sei damit nicht zu beseitigen. „Wir treffen damit nur die Kinder, die ohnehin aus sozial schwachen Familien kommen“, sagte sie.

Auf die Idee mit dem Kindergeld war Bremens Bildungssenator Willi Lemke selbst gekommen. Rund 15 Bußgeldverfahren leitet die Schulbehörde jedes Jahr ein, dazu gibt es ein Dutzend Fälle, in denen Zwangsgeld angedroht wird, aber die Summen liegen bei 100 Euro und große Wirkung scheint dieses Instrument nicht zu haben. Jedenfalls bekam Lemke bei seinen Schulbesuchen immer wieder berichtet, dass es Fälle gebe, in denen alles Zureden und Drohen nichts fruchte.

Da es sich in vielen Fällen um Berufsschüler und um Sozialhilfeempfänger handelt, stößt die Durchsetzung des Bußgeldes auf Probleme. Vor diesem Hintergrund ist die Idee, das Kindergeld zu kürzen, besonders absurd: Das Kindergeld wird auf den Sozialhilfeanspruch angerechnet, das bedeutet: Jeder Sozialhilfeempfänger, dem das Kindergeld gekürzt wird, hat Anspruch auf entsprechend mehr Sozialhilfe. Auch deswegen war die Reaktion der anderen Bundesländer so schroff: Das Kindergeld würde der Bund sparen, bei der Sozialhilfe müssten die Kommunen drauflegen.

Genaue Zahlen darüber, wieviele Schüler notorisch die Schule schwänzen und in welchen Altersgruppen dies der Fall ist, hat die Bremer Bildungsbehörde nicht. Die von Lemke genannte erschreckende Zahl von 2.000 ist eine geschätzte Größe, etwa 250 Fälle gelten als schwerwiegend. Unklar ist, wie viele – oftmals volljährige – Berufsschüler darunter sind. Bei Familien mit ausländischen Elternhäusern stellt sich das Problem vielleicht anders. Die Behörde hat bisher keinen Überblick darüber, wie effektiv das Druckmittel der Androhung von Zwangsgeld bisher gewesen ist. Über die möglichen Effekte der erweiterten Drohung mit der Kürzung des Kindergeldes lässt sich daher freihändig spekulieren. Die Idee war so spontan, dass nicht einmal die Rechtsabteilung der Bildungsbehörde geprüft hat, ob der Familienanspruch auf Kindergeld aufgewogen werden darf gegen einen Verstoß gegen die Schulpflicht. Klaus Wolschner

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