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„Endlich nimmt die Welt Notiz von uns“

In London feiern radikale Islamisten den 11. September auf eigene Art – in einem Moscheekeller „Ground Zero“. Allzu populär wollen sie unter den britischen Muslimen wohl nicht werden: „Die Minderheit wird gerettet, sagt Allah“

LONDON taz ■ Kurz vor Mitternacht müssen wir uns die Schuhe ausziehen. Dann dürfen wir doch noch in die Moschee am Finsbury Park in Nordlondon, wo uns die Führer von al-Muhajiroun („Die Emigranten“) empfangen. Die radikal-islamistische Organisation begeht den 11. September auf eigene Art: Sie veranstaltet eine Konferenz über „die positiven Folgen des 11. September 2001“. Etwa 200 Menschen nehmen daran teil.

Er feiere die Anschläge zwar nicht, sagt der spirituelle Führer von al-Muhajiroun, Scheich Omar Bakri Mohammed, aber er verstehe sehr gut, warum sie geschehen seien. „Seit 50 Jahren haben die USA eine Kampagne gegen den Islam geführt“, sagt er. „Jetzt endlich nimmt die Welt Notiz von uns.“ Der 44-jährige Syrer trägt einen langen, weißen Kaftan, darüber einen eleganten schwarzen Mantel. Im Norden Londons, wo er seit 1986 lebt, ist er als „Tottenham-Ayatollah“ bekannt. Sein Antrag auf politisches Asyl wurde zwar abgelehnt, aber die britischen Behörden gewährten ihm unbegrenztes Aufenthaltsrecht.

Die Moschee sieht aus wie ein Bürohaus, auf das nachträglich eine goldene Kuppel aufgesetzt und ein Turm mit Halbmond an der Spitze angebaut wurde. Zu den regelmäßigen Besuchern zählten Zacarias Moussaoui, der mutmaßliche 20. Flugzeugentführer, und Richard Reid, der „Schuhbomber“. Der Eingang der Moschee wird von jungen Al-Muhajiroun-Mitgliedern bewacht, die mit Palästinensertüchern vermummt sind.

Wir müssen in den Keller – „Ground Zero“ nennen sie den kahlen Konferenzraum, der mit einem roten Teppich ausgelegt ist. Nach einer Weile kommt Abu Hamza, der Imam der Moschee, ein schwergewichtiger Mann mit grauem Bart und schwarzer Kappe. Aus den Ärmeln seines braunen Umhangs ragen zwei Stahlhaken heraus, sein linkes Auge ist aus Glas. Hände und Auge hat er durch eine Mine in Afghanistan eingebüßt. Der 44-jährige Ägypter kam 1981 als Student nach Großbritannien, heiratete eine Engländerin und wurde britischer Staatsbürger. Früher arbeitete er als Türsteher bei einer Peepshow in Soho. Heute gilt er als Wortführer der Islamisten.

„Ussama Bin Ladens Botschaft hat euch erreicht“, sagt er. „Ihr werdet euch nie mehr sicher fühlen.“ Er warnt vor einem Angriff auf den Irak: „Jede Aktion führt zu einer Reaktion.“ Bakri pflichtet ihm bei: Falls der Irak angegriffen werde, habe al-Qaida das Recht, zurückzuschlagen.

Die verschiedenen radikalen Gruppen schließen sich auf dieser Konferenz zum „Islamic Council of Britain“ zusammen, um ein Gegengewicht zum gemäßigten „Muslim Council of Britain“ zu schaffen. Man sei eine Minderheit, räumt Bakri ein: „Aber die Minderheit wird gerettet, sagt Allah.“

Während in der Moschee konferiert wird, versammeln sich davor rund 50 Neonazis von der „British National Party“. Sie schwenken die britische Flagge, singen rassistische Lieder und fordern die Ausweisung der Muslime. Einer von ihnen wird verhaftet, weil er ein Messer mit zehn Zentimeter langer Klinge bei sich führt. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite, hinter einer Kette von 200 Polizisten, fordern 30 Leute von der „Anti-Nazi League“ ein Verbot der BNP. Jeremy Corbyn, linker Labour-Abgeordneter, ist da, um „gegen die Präsenz von Rassisten und Faschisten in meinem Wahlkreis“ zu protestieren. „Im Umkreis von einer halben Meile um den Finsbury Park werden 50 verschiedene Sprachen gesprochen“, sagt er. „Es ist eine multi-kulturelle, tolerante Gemeinschaft, und so soll es bleiben.“

Im „Ground Zero“ sagt derweil Abu Ibraheem: „Jesus musste leiden, um Gehorsam zu lernen. Die USA müssen viel mehr leiden, um Gehorsam zu lernen.“

RALF SOTSCHECK

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