: Unter das Eisen setzen
Der Film „Ainsi va la vie“ provoziert. Weil er versucht, die Beschneidung von Frauen in Afrika überhaupt zu verstehen. Zeigen will die Dokumentation niemand: Sie widerspreche deutschen Sehgewohnheiten
von HEIDE OESTREICH
Selbstverständlich ist Djeneba Diabaté für die Beschneidung von Mädchen. „Ich habe sechs Kinder. Alle meine Töchter habe ich beschneiden lassen. Und ich habe seitdem keine Schwierigkeiten bei ihnen festgestellt“, erklärt sie seelenruhig. Djeneba ist Griotte, eine traditionelle Festsängerin in Mali. Beschneidung. Es heißt doch genitale Verstümmelung?
Nennen wir es „Exzision“, das ist der medizinische Fachbegriff für das Herausschneiden von Organen. Djeneba erklärt, dass die Exzision „viele Vorteile“ hat. Man wird von der zweiten Frau des Ehemannes nicht verhöhnt. Die Geburten sollen leichter sein. Die Frau geht nicht so oft fremd. Und sie ist einfach schöner, wenn der hässliche, männliche Teil entfernt ist. Die Initiation. Ebenso wie die Jungen sollten die Mädchen einen Schmerz erleiden, ohne zu klagen. „Wenn du das bestehst, erträgst du den ganzen Rest“, erklärt Djeneba stolz in die Kamera.
Und? Schnitt, Krankenschwester erklärt, wie viele Frauen an den Folgen der Genitalverstümmelung gestorben sind? Aufklärungskampagne mit Unterstützung der deutschen Regierung? Die Kamera schwenkt über ein häusliches Idyll, Djeneba badet ihre Kinder. Dann folgt der Film der Frau zur Arbeit. Ein Fest in Mali, Straßenszenen. Alltag? Ach ja, Beschneidung ist Alltag in Mali. „Ainsi va la vie“, sagt eine der Frauen, so ist das Leben. So heißt dieser Film über Exzision. Gedreht von zwei Frauen, die lange in Mali waren. Svenja Cussler, Kamerafrau und Cutterin, und Edda Brandes, Ethnomusikologin, lebte zwölf Jahre in Mali und sammelte Musik, zuletzt Beschneidungsmusik.
Aufklärung. Die Dinge beim Namen nennen. Zu dem aufgeklärten Blick allerdings gehört eine tremolierende Sprache: „Allein an einem Tag erleiden in circa dreißig afrikanischen Ländern etwa sechstausend Mädchen dieses grausame Schicksal“, schreibt die Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul in einem Buch über weibliche Genitalverstümmelung, herausgegeben von Terre des Femmes. Eine Menschenrechtsverletzung, die „eingedämmt“ werden muss.
In Mali, wo fast alle Ethnien die Frauen exzidieren lassen, sitzt Djeneba und erklärt den Autorinnen des Films „Ainsi va la vie“: „Ich habe die Beschneidung bereits vorgefunden, als ich auf die Welt kam.“ Die Riten der Alten ändert man nicht mal eben, heißt das. „Schädliche traditionelle Praktik“, nennt es die Sprache der Aufklärung.
Das Entwicklungshilfeministerium schickt ein Filmteam nach Mali und lässt auch einen Film drehen, den Aufklärungsfilm „Bolokoli“, so heißt Beschneidung in Mali. Beschneidungstänze, große ängstliche Mädchenaugen. Dann verstummt der Film und man sieht viele Frauen mit einem nackten Mädchen hantieren. Zeitlupe. Was genau passiert, sieht man nicht. Die Aufklärer halten uns die Augen zu. Dann sehen wir Exbeschneiderinnen, denen ein Projekt das Führen einer Hühnerfarm ermöglicht. Die Exbeschneiderin sagt, dass Genitalverstümmelung eine Menschenrechtsverletzung ist. Das Hühnergeld reicht nicht zum Leben, heißt es im Kommentar. Womit die Exbeschneiderinnen ihren Lebensunterhalt noch verdienen, darüber schweigt der Film.
„Diese Initiativen sind meines Wissens alle wieder verschwunden“, sagt Edda Brandes. „Der Bedarf an Beschneidungen ist nicht gesunken“, sagt sie. „Die Aufklärung war nicht tief genug.“ Was ist tiefe Aufklärung? Wann verändert jemand sein Verhalten? Und was kann jemand, der von außen mit neuen Werten kommt, eigentlich tun?
Edda Brandes hat ihre Freunde und Freundinnen gefragt, ob sie sie zum Thema Beschneidung befragen dürfe. Djeneba Diabaté sagte Ja. Fatou Sacko Touré ebenfalls. „Aber nur weil du es bist.“ Fatou macht im Nationalmuseum Führungen und verkauft vor ihrem Haus Fettgebackenes. „Meine Schwester fragte mich, wie mein Eheleben laufe“, erzählt sie. „Ich sagte, ich weiß nicht. Wo ist das Vergnügen der Liebe? Ist es am Anfang? Ist es am Schluss?“ Fatou ist gebildet, sie fängt an zu lesen. Über Beschneidung und Lust. Mit ihrem Mann redet sie nicht darüber. Aber eines Tages, sagt sie, sei aus der „kleinen Töpferei meiner Erfahrungen eine große Vase“ geworden. „Ich fragte meinen Mann: ‚Was ist Ekstase?‘ Er antwortete: ‚Du kennst Ekstase? Das ist sehr gut.‘“
Während sie Teigstückchen im Fett brät und an Kinder verteilt, spricht sie von der ersten Geburt. Fatou war zugenäht, „infibuliert“, sagt das Fachwort. Ihre Tochter erstickte in ihrem Bauch, weil die Krankenschwestern nicht wussten, wie die Geburt einer infibulierten Frau zu bewerkstelligen ist. „Ihr hättet sie in den OP bringen müssen“, sagte der Arzt am Ende. Zu spät. „Deshalb bin ich gegen die Beschneidung“, sagt Fatou.
Der Film belässt es nicht dabei. Er begleitet Fatou, ins Museum, auf den Markt. Er zeigt Männer in der Moschee, Kinder auf der Straße, das langsame Leben, wie es in Mali eben läuft. Über Beschneidung redet man nicht. Den Film dürfe sie auf keinen Fall in Mali zeigen, sagte Fatou zu Edda Brandes. Niemand dürfe solche Details wissen. „Wenn man mich so reden hört, denkt man, ich glaube nicht mehr an Gott. Ich darf nicht so reden.“ Auch Salia Malé will nicht, dass jemand in Mali seine Qualen sieht. Schwitzend sitzt der ehemalige Vizedirektor des Nationalmuseums der Hauptstadt Bamoko in seinem Wohnzimmer. Manchmal kriecht ein Töchterchen auf seinen Schoß und möchte gestreichelt werden.
Erst als es zu spät war, erfuhr er überhaupt, dass seine erste Tochter von der Familie des älteren Bruders beschnitten worden ist – während seines Ethnologiestudiums in Europa. „Durch meine Ausbildung im Westen weiß ich, was Beschneidung bedeutet.“ Langsam und umständlich kommen die Worte aus seinem Mund: „Es ist ein Angriff auf die Integrität des Individuums.“ Salia Malé blinzelt in die Kamera. „Ich habe mich positioniert“, sagt er. „Das ist nicht einfach, das ist überhaupt nicht einfach.“ Sein älterer Bruder nämlich frage schon ungeduldig, wann er denn endlich seine anderen vier Töchter beschneiden ließe. „Das wird schon noch kommen“, hat er geantwortet.
Wenn der Bruder aber entscheidet, die Mädchen beschneiden zu lassen – „dann ist seine Entscheidung die meine“. Mit dem Sozialsystem Familie zu brechen, das ist in einem Land wie Mali bestenfalls ein Traum. Von der Familie ist man abhängig, „das ist eine Frage von Leben und Tod“, sagt Edda Brandes.
Salia Malé spricht von der Initiation: „Das zeichnet einen Menschen für sein Leben. Das Mädchen ist erst nach der Beschneidung vollständig.“ Wieder der Blick in die Kamera: „Wie werden meine Töchter mit dem Status derer, die nicht beschnitten sind, zurechtkommen?“ Dieser Status lautet im Moment außerhalb der hauptstädtischen Oberschicht Malis: Unfrau. „Das Essen, das eine nicht Beschnittene gekocht hat, darf man nicht essen“, bebildert es Svenja Cussler. Das „unter das Eisen setzen“ ist eine absolute Notwendigkeit, wenn man heiraten will. Ein Muslim in Mali heiratet keine Unbeschnittene. Das Nichtschneiden, sagt drastischer die Berliner Ethnologin Anni Peller, die eine Feldforschung zum Thema in Südäthiopien machte, „bedeutet mit Sicherheit den gesellschaftlichen Tod“.
Kann man Menschen, für die Beschneidung nicht nur Normalität, sondern Gebot ist, mit dem Wort Genitalverstümmelung weiterhelfen? „Der Begriff ist eine Anklage“, sagt Brandes, „damit kann man keine gleichberechtigte Auseinandersetzung über ein Problem führen.“ Muss man es aber nicht benutzen, um daran die Grausamkeit des Rituals deutlich zu machen?
Achtzig Prozent der Müttersterblichkeit sei auf die Exzision zurückzuführen, heißt es bei Terre des Femmes. „De facto gibt es keine Untersuchung über Folgeschäden der Exzision“, sagt Anni Peller. Aids würde über Beschneiderinnen verbreitet, heißt es ebenfalls. Die Daten sagen das Gegenteil: In Gebieten, in denen exzidiert wird, ist die Verbreitung von Aids geringer als in Vergleichsgebieten, hat Peller in den Statistiken gefunden – „wahrscheinlich wegen der strengen Sexualmoral“.
Die Aufklärungskampagnen, so Pellers Beobachtung, führten „in manchen Fällen genau zum Gegenteil ihres eigentlichen Zieles“: Gegen die „westliche Einmischung“ wird die Exzision etwa von islamischen Fundamentalisten zu einer urislamischen Tradition stilisiert. Der Dialog über die Exzision würde dadurch unmöglich, sagt die Ethnologin. Sie fordert, Exzisionen in abgeschwächter Form in Krankenhäusern anzubieten – ein Ansinnen, das etwa die WHO strikt zurückweist.
Ein „Ersatzritual“ müsse mindestes her, meinen die Filmemacherinnen Edda Brandes und Svenja Cussler. Um solche Ideen überhaupt im Westen verständlich zu machen, müsste der Westen erst einmal verstehen wollen, worum es bei der Exzision eigentlich geht. Man könnte den Film von Brandes und Cussler im Fernsehen zeigen. Doch es fand sich kein Sender, der ihn zeigen wollte. Er entspreche nicht den deutschen Sehgewohnheiten, hieß es, oder, wie vom Bayerischen Rundfunk: „zu irritierend“.
HEIDE OESTREICH, 33, ist Redakteurin im Inlandsressort der tazAuf Initiative der taz wird der Film „Ainsi va la vie“ morgen, am 15. September, um 14 Uhr, exklusiv im Kino Arsenal gezeigt. Potsdamer Straße 2, 10785 Berlin. Fon (0 30) 2 69 55 10. Die Regisseurinnen sind anwesend. www.ainsi-va-la-vie.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen