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„Abstraktion ist politisch“

Gespräch mit der Komponistin, Produzentin und Sängerin Joan La Barbara über das Musikfest Hamburg, Improvisation, den Kulturbetrieb und die Möglichkeiten politischer Musik

Interview: SASCHA DEMAND

Joan La Barbara ist während des Hamburger Musikfestes zweimal zu hören: am Sonnabend im Rahmen der Langen Nacht mit einem Programm für Stimme und Klavier. Am Montag ist sie als Special Guest an der Aufführung der „Songbooks“ von John Cage beteiligt.

taz hamburg: Können Sie uns etwas über das Programm, die Komposition und Komponisten erzählen?

Joan La Barbara: Der erste Abend nennt sich Nachtcafé. Die Idee war, ein etwas leichteres Programm für die späteren Abendstunden zu gestalten, nachdem das Hauptprogramm des Tages bereits gelaufen ist. Gewünscht wurde unter anderem die „Sequenza 3“ von Luciano Berio, ein Stück für Stimme solo, das heute zu den Klassikern moderner Gesangstechnik zählt. Die stimmlichen Möglichkeiten sind heute weiter fortgeschritten, aber die „Sequenza“ enthält Elemente wie Schnalzlaute, Flatterzunge und so weiter mit sehr rapiden Stimmungswechseln. Die drei Satie-Lieder sind Cabaret-Stücke aus den Jahren 1902, 1903 und 1919, leichtere Vortragsstücke, an music hall erinnernd, mit großer Leichtigkeit und Einfachheit im Gestus. Dann gibt es ein Stück von mir selbst. Eine strukturierte Improvisation, die auf imaginären Fremdsprachen basiert, die man überhaupt nicht versteht und gerade deshalb gut auf ihre Klangstruktur hin studieren kann. Schließlich machen wir die wunderschöne Jazz-Ballade „Lush Life“ von Billy Strayhorn, der vor allem als Weggefährte Duke Ellingtons bekannt wurde.

Sie sind auch als Improvisateurin bekannt und erfolgreich. Werden Sie in Hamburg auch improvisieren, oder interpretieren Sie hauptsächlich?

Die „Songbooks“ von Cage fassen in sich unterschiedlichstes Material zusammen. Es gibt graphisch und streng musikalisch notierte Passagen; es gibt Instruktionen verschiedener Aktivitäten, die Bühne zu verlassen, einen Brief zu schreiben... Es ist ein theatralisches Musikstück, das teils den improvisatorischen Spielraum lässt, offenere Strukturen mit eigenen Materialien aufzufüllen; zugleich ist das Stück in allen Parametern sehr strukturiert eingerichtet. Die Interpreten haben aber die Wahl, die Songs frei zu collagieren und zu kombinieren.

Im Programm des Hamburger Musikfestes gibt es kaum Uraufführungen junger, unbekannter Komponisten, dasselbe gilt bei den Ensembles und Interpreten. Begrüßen Sie diese Tendenz zu immer größeren, angepassteren Events, oder möchten Sie dem etwas entgegensetzen?

Oft unterliegen große Veranstalter dem Trugschluss, sie müssten dem Publikum das bieten, was es bereits kennt. Mich interessiert aber ein Programm, das weitestgehend unbekannt und auch außergewöhnlich ist, denn meine Erfahrung ist, dass das ein neues und junges Publikum in die Säle bringt. Die großen Festivals spielen zu oft das gleiche. Cages „Songbooks“ aber haben – gut interpretiert – immer wieder etwas ganz Neues und Überraschendes.

Insgesamt lässt sich aber doch vielleicht feststellen, dass der Kulturbetrieb immer standardisierter vonstatten geht. Was auch daran liegen mag, dass Künstler und Veranstalter nicht mehr versuchen, Kunst in ein übergeordnetes, größeres Verhältnis zu politischen oder gesellschaftlichen Fragestellungen zu bringen. Ist das für Sie noch wichtig?

Nun, ich würde sagen, dass die „Songbooks“ per se einen politischen Subtext innehaben, der das Stück immanent durchläuft. In den Erläuterungen zu dem Stück steht zum Beispiel, man solle vor bestimmten Solopassagen die schwarze Flagge der Anarchie hissen. John Cages Musik spricht aus, dass die beste Regierung keine Regierung ist.

Aber glauben Sie, dass sich mit rein musikalischen Mitteln überhaupt politischen Positionierungen einnehmen lassen?

Oh, ich weiß nicht, ob es je gelungen ist, ob bei Cornelius Cardew, John Adams oder anderen: dass ihre Kunst an sich eine politische Dimension bekommen hätte. Aber jede Musik steht im Grunde immer inmitten dieser politischen Zusammenhänge. Direkte Reaktion der Kunst auf politische Verhältnisse oder Ereignisse sind vielleicht sogar weniger politisch als das, was in den Abstraktionen der Kunst zum Ausdruck kommt.

„Nachtcafé I: Songs“: Sa, 23.30 Uhr, Brahms-Foyer Musikhalle; „John Cage: Songbooks“: Mo, 16.8., 20.13 Uhr, Musikhalle

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