: Schlichter statt Richter
Wenn zwei sich streiten, kommt der Mediator. Die Konfliktschlichter werden immer öfter in Unternehmen gerufen, denn bei einvernehmlichen Lösungen hält der Erfolg länger an als bei juristischen Entscheidungen von oben herab
von MARGRET STEFFEN
Kinder haben es einfach. Im Streit gibt es mal Sand in die Augen oder eine Schaufel über den Kopf. Dann kommt ein Erwachsener und tröstet. Bei den Großen ist das anders – und vor allem im Job schnell ein Problem. „Die Betroffenen versuchen oft zu vermeiden, sich bei Konflikten an Dritte zu wenden“, sagt Elena Heitmann von Idea Consultants, einer Unternehmensberatung in Berlin. Nötig sei daher zuerst einmal die Einsicht: „Nicht wir haben einen Konflikt, sondern der Konflikt hat uns“ – und raubt allen Beteiligten sehr viel Energie, Zeit und Kapazitäten. Arbeitsabläufe sind mittlerweile sehr komplex, jeder brodelnde Kollegenkrach kostet da schnell viel Geld. Deshalb wird im Ernstfall immer häufiger ein vermittelnder Schlichter hinzu geholt: der Mediator.
„Wirtschaftsmediation greift überall da, wo Arbeitsbeziehungen erhalten werden müssen“, erklärt Psychologin Christine Oberpaur, die in Stuttgart seit Jahren Konflikte in Unternehmen löst. Entscheidungen durch Gerichte sind dagegen meist nur ein zweifelhafter Erfolg: Die Verhandlungen sind lange, zermürbend und teuer. Hinterher sind die Beziehungen oft endgültig zerüttet. „Bei Mediation hält der Erfolg länger an“, so Oberpaur. Der Mediator gebe die Lösung nicht vor, sondern fordere Eigenverantwortung bei der Konfliktbewältigung. So etwas motiviert mehr, als nur tatenlos ein richterliches Wort hinzunehmen.
1994 wurden in den USA 50.000 Wirtschaftsfälle geschlichtet, im Jahr 2000 schon 140.000. Die Erfolgsquote liege bei 80 bis 85 Prozent, sagt Oberpaur. Inzwischen haben Unternehmen wie Siemens in ihre Statuten aufgenommen, dass vor gerichtlichen Auseinandersetzungen immer eine Mediation stehen muss. In vielen Unternehmen erhalten Führungskräfte Schulungen, um bei Konflikten unter ihren Leuten eingreifen zu können. Es gibt Gesprächsrunden, Hotlines, Mitarbeiterbefragungen, betreuende Mentoren und Feed-back für Neuzugänge.
Das Konfliktpotenzial ist vielschichtig: „Neben Fragen der zwischenmenschlichen Chemie gibt es gerade bei Führungskräften temporäre Krisen, berufliche Misserfolge oder verschiedene Auffassungen von Geschäftsstrategien“, sagt Christoph Sanne von der Zentralabteilung Personal bei Siemens. „Wenn zwei sich da nicht verstehen, kommt es häufig zur Pseudoversachlichung statt zur Klärung.“ Oft ecken auch neue Chefs an: „Sie haben ihre Erfahrungen und Regeln, mit denen sie bisher geführt haben. Die nehmen sie mit in die neue Abteilung und sagen ihren Mitarbeitern: ‚Das habe ich immer schon so gemacht.‘ “
Das Prinzip der Mediation ist einfach: Die Kontrahenten sitzen sich gegenüber, müssen reden und sich anschauen – anders als vor einem Richter ist das oft schon ein Schritt Richtung Normalität. „Dann sammelt der Berater Konfliktthemen“, so Oberpaur. Eine Liste von Kritikpunkten und Forderungen entsteht. Für eine Lösung aber muss man die wirklichen Interessen der Beteiligten offen legen: „Warum wollen sie dies und jenes überhaupt, was ist wirklich los? Oft folgt ein persönliches Aha-Erlebnis“, sagt die Beraterin. Aus Wut sucht sie Enttäuschungen, Erwartungen, Wünsche zu filtern.
„Konflikte gibt es auf neun verschiedenen Stufen“, so Heitmann. Den Anfang machen kurze Ausrutscher und Spannungen, die sich noch diskutieren lassen. Auf der Stufe neun wird der Gegner nicht mehr als Mensch gedacht, für seine Zerstörung gar Selbstschädigung in Kauf genommen. Da geht es nicht mehr ohne Richtergewalt, während sich ein Streit bis Stufe sieben noch anders managen lässt. „Es gibt heiße Konflikte, zum Beispiel wenn jemand offen heruntergemacht wird“, erklärt Heitmann. „Kalte Konflikte sind dagegen schwerer an die Oberfläche zu bringen. Da sagen die Leute: ‚Oh nein, bei uns ist alles in Ordnung. Wir reden zwar nicht miteinander, aber einen Konflikt haben wir nicht.‘ “
Die Lösungsmethoden sind unterschiedlich: Im Reframing wird Negatives umformuliert. Zur Transaktionsanalyse schlüpfen Leute aus ihrer alten Rolle heraus. Es wird gefragt, reflektiert, in Botschaften zerlegt. Bei der Rollenverhandlung legen die Zerstrittenen – notfalls schriftlich – drei Dinge fest: was der andere künftig verstärkt tun soll, was weniger und was gar nicht mehr. Der Trick: Statt nur Verhalten zu kritisieren, einigt man sich auf Taten. „Das ist sehr effektiv, aber nicht einfach“, sagt Heitmann, „weil man dann tatsächlich etwas angehen muss.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen