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Das sendende Klassenzimmer

Das Schulfernsehen ist tot? Von wegen: Die Weibelfeld-Schule im hessischen Dreieich unterrichtet seit 20 Jahren „Medienerziehung“ und schickt ihre Schüler unter Praxisbedingungen ins TV-Studio

aus Dreieich HEIDE PLATEN

Außen hässlich, innen „ganz prima“. Das sagen jedenfalls die Schüler der Weibelfeld-Schule im südhessischen Dreieich. Der einstöckige graue Betonklotz ist Industriearchitektur der Siebzigerjjahre pur, orange-braun angestrichen und mittlerweile gnädig hinter Grün versteckt.

Trotzdem steigen die Schülerzahlen der Kooperativen Gesamtschule. Direktor Albert Schobbe lächelt siegessicher: „Wir sind im Wettbewerb, und wir können gar nicht alle aufnehmen.“ Und das, obwohl die direkte Konkurrenz in der Nachbarschaft ein Gymnasium ist. Schobbe ist sich sicher, dass er das auch einem Modellprojekt der Schule verdankt. Seit knapp 20 Jahren lehrt die Schule das Fach Medienerziehung. Das Schul-Fernsehen Dreieich (SFD), gemacht von Schülern ausgerechnet für Senioren, ging 1983 auf Sendung. Vier weitere Programmangebote sind dazu gekommen. Fast 100 Schüler und drei Lehrer arbeiten mit. Die Qualität der Sendungen ist professionell und mehrfach preisgekrönt. Medienerziehung an der Schule soll Medienkompetenz lehren und ist mittlerweile zum Wahlpflichtfach ausgebaut.

Medienkompetenz, was ist das eigentlich? Projektlehrer Kurt-Peter de Ahna hat seine Hausaufgaben ordentlich gemacht: „Die Schüler lernen durch Auswahl des gedrehten Materials die Möglichkeiten der Manipulation und die Macht der Bilder kennen.“ Sie erfahren auch, „welche Bedeutung es hat, wegzulassen, einfachen Botschaften nicht zu trauen und sich immer aus mehreren Quellen zu informieren“. Sein Kollege Hermann Schiffbauer fasst das Ganze druckreif zusammen: „Die Ästhetik des Fernsehens ist die Ethik dessen, was gezeigt wird.“

Vorbild Summerhill

Die Lehrer haben für das Modellprojekt, für das es offizielle Richtlinien genauso wenig gibt wie eine Ausbildung, ein eigenes pädagogisches Konzept entwickelt. Es ist eine Mischung aus Eigeninitiative und Selbstregulation durch die Schüler – ein Programm, das vergleichbar ist mit dem der englichen Schule von Summerhill, die in den Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts durch gemäßigte antiautoritäre Strukturen weltweit berühmt geworden war. Die Weibelfeld-Schule orientiert sich am Prinzip der „Selbstwirksamkeit“. „Das Selbermachen ist die beste Form des Lernens“, sagt Projektlehrer Theo van Dieken: „Die Profis sind nur die Begleiter.“

Natalie Leibold (16) beispielsweise ist eine begabte Selbstdarstellerin. Sie führt Besucher durch die fünf Studioräume, die mit semiprofessioneller Technik ausgestattet sind. Schüler bilden im Sendebetrieb kleine Teams von fünf bis sechs Kindern. Sie entwickeln das Konzept für ihre Sendung, lernen die Technik zu bedienen, schreiben ihre Drehbücher, organisieren die nötigen Kontakte, drehen, schneiden, vertonen. Jeder muss alles können. Größere lernen die Kleineren an. Sie filmen bei Veranstaltungen für die Stadt Dreieich, senden regelmäßig Nachrichten. Der örtliche Kabelanbieter überträgt die Programme kostenlos.

Nach und nach, so Natalie, entwickele sich dann das jeweilige Talent. Sie selbst agiert längst lieber vor als hinter der Kamera.

Auch die internen Regeln der Sanktionen im offenen Unterricht ähneln denen von Summerhill. Die Schüler bewerten ihre eigene Leistung selbst. Sie haben eine regelmäßige Berichtspflicht, aber die Lehrer übernehmen die Schülerzensuren und vergeben dann Gesamtnoten an die Gruppen. Schulleiter Schobbe hat festgestellt: „Die Jugendlichen urteilen untereinander sehr hart.“ Was zur Folge hat, dass die Hälfte der TV-Interessenten im Laufe des Projekts wieder abspringt. Die anderen aber seien so engagiert, dass die Schule nicht mehr „nur lästiger Lern-, sondern Lebensraum“ sei. Manchen Eltern wird allmählich schon zu viel, dass ihre Kinder den ganzen Tag bis in den Abend in der Schule verbringen.

Natalie Leibold druckst vorsichtig herum: „Man muss sich auf die anderen verlassen können.“ Es gebe zwar „so schwarze Schafe“, aber das meiste gehe mit gutem Zureden. Am härtesten sei das „Casting“, dass jeder am Anfang durchmacht: „Die müssen im Studio alle zuerst einmal vor die Kamera.“ Viele hätten davor Angst: „Die wollen da nicht rein.“ Wenn jemand aber gar nicht mitziehe, nie da sei, dann werde doch ein Lehrer zur Konfliktlösung hinzugezogen.

Ihr Mitschüler Marwin Kuch (14) ist derzeit Regisseur im Studio. Er dirigiert sowohl die Kameras als auch Nachrichtensprecherin Juliane: „Lauter, noch einmal, mach doch mal den Ärmel runter.“ Und findet: „Das macht richtig viel Spaß.“ Später möchte er Kameramann werden.

Jannis Calchera (18) ist strenger als Natalie. Er wird in einem Jahr Abitur machen, hat sich selbst um Praktika gekümmert, eines bei einer der Post-Production-Firma „Das Werk“ in Frankfurt am Main, absolviert. Sein Berufswunsch: Mediengestalter. Er beklagt die Mentalität vieler Schüler: „Die haben keine Geduld.“ Lernen wollen sie schon, wie die komplizierten elektronischen Geräte zu bedienen sind, nur: „Viele haben aber irgendwie keine Zeit.“ Sie wollten am liebsten „alles gleich und jetzt und an einem Tag“ können. „Wenn es länger dauert“, sagt Janniser, „dann verlieren sie die Lust.“

Projekt Kinderkanal

Vielleicht sorgt hier bald auch die Abkehr von der Senioren-Zielgruppe für Auftrieb: Neuestes Schul-TV-Projekt ist ein Kinderfernsehen, von Kindern für Kinder gemacht. Dazu hat eine Kooperation mit einer benachbarten Grundschule schon begonnen, eine zweite soll bald dazu kommen.

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