: Sparen bei den Vorschriften
Einen Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars soll es künftig nicht mehr geben. Vielmehr will Innensenator Ehrhart Körting (SPD) die Verwaltung entbürokratisieren – und auch zeigen, wo im öffentlichen Dienst gespart werden kann
Warum ein Kind vor der Einschulung vom Amtsarzt untersuchen lassen, wenn der Hausarzt das Gleiche tun kann? Warum ein Verbot zur Zweckentfremdung von Wohnraum aufrechterhalten, wenn in der Stadt über 100.000 Wohnungen leerstehen? Warum Beamte und Richter bei Dienstjubiläen mit Zulage belohnen, wenn es dafür keinen Rechtsanspruch gibt und die Haushaltskasse leer ist?
Solche und andere Fragen hat Innensenator Ehrhart Körting (SPD) jetzt zu Papier gebracht und sie zugleich auch beantwortet: Diese und viele andere Berliner Rechtsvorschriften seien antiquiert und müssten verändert oder gestrichen werden.
Auf den ersten Blick wirkt das 22-seitige Körting-Papier allerdings so spröde wie sein Titel: „68 Vorschläge zur Vereinfachung und Entbürokratisierung der Berliner Verwaltung“. Die Brisanz erschließt sich erst, wenn man die Beweggründe des Autors kennt. Er habe das Papier mit Blick auf die am 30. September anstehende nächste Verhandlungsrunde über einen Solidarpakt mit denGewerkschaften verfasst, sagte Körting gestern. Wer 12.000 Stellen abbauen wolle, müsse auch sagen können, wie und wo. In dem Papier seien Beispiele aufgelistet, wo die Berliner Verwaltung Aufgaben „abspecken“ oder „ganz wegfallen“ lassen könne. Das Papier sei im Alleingang entstanden, einzig die Fraktionsvorsitzenden von SPD und PDS seien eingeweiht. „Wenn ich die 68 Vorschläge in größerem Rahmen abgestimmt hätte“, so Körting, „wären am Ende vielleicht noch fünf Punkte übrig geblieben.“
Aufräumen möchte Körting nicht nur mit Verordnungen aus dem Jahr 1954, in denen der Schutz der Sonn- und Feiertage in dem Sinn geregelt ist, dass während der Zeit des Gottesdienstes keine öffentlichen Veranstaltungen stattfinden dürfen, die diesen stören könnten. Auch das Gesetz zur Förderung der sparsamen und umweltverträglichen Energienutzung von 1990 möchte Körting entsorgen, weil „das Umweltbewusstsein und Energiebewusstsein“ so gewachsen sei, dass es „so einer gesetzlichen Regelung und damit folgender verwaltungsmäßiger Umsetzung nicht mehr bedarf“.
Auch das Gesetz über die Schulverfassung von 1979 möchte der Innensenator ändern. Statt die „gestressten Lehrer“ in eine Vielzahl von Konferenzen zu schicken, „sollte ihnen mehr Freiraum“ zur Arbeit mit den Schülern gegeben werden. Er rechne in diesem Punkt weniger mit Widerstand von Seiten seines Kollegen Schulsenator, als vielmehr von den Gewerkschaften, sagte Körting, schob aber nach: „Vielleicht gibt es ja auch Lehrer, die mit dem Konferenzunwesen unzufrieden sind.“
Auch das Parlament möchte Körting „von unnötigen Formalismen“ entlasten. So soll zum Beispiel geprüft werden, ob auf Wortprotokolle in den Ausschüssen nicht grundsätzlich verzichtet werden kann. Vereinfachen möchte er auch das Prozedere der Beteiligung von Personalrat, Frauenvertretung und Schwerbehindertenobmann bei Einstellungsfragen.
Die „Überregulierung“ schaffe Leerlauf und binde Ressourcen, so Körting. Schlimm sei auch das „Berichtsunwesen“. Eine Vielzahl von Einzelvorschriften beinhalte die Pflicht, Berichte zu schreiben. Berichte, die die Arbeitskraft vieler Mitarbeiter binden, anschließend zum Großteil aber im Schredder landen würden.
PLUTONIA PLARRE
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