Rot-grünes Signal für Wien

Schröder und Fischer haben die deutschen Piefkes umdefiniert – zur Erleichterung der Österreicher bleibt des Bundeskanzlers leicht nationaler Zungenschlag Rhetorik

Der Kurs nach rechts kannunangenehmerwerden, als die Wähler glauben

Sonntagabend vor zwei Wochen hatten die Österreicher ein seltsames Doppelerlebnis: Da switchten die politisch Interessierten immer wieder zwischen dem ORF und deutschen TV-Kanälen hin und her. Im österreichischen Sender verkündeten Vizekanzlerin Riess-Passer und Finanzminister Grasser – beide von der Haider-FPÖ – ihren Rücktritt und besiegelten damit das Schicksal der blau-schwarzen Koalition. Auf ARD und ZDF schien zur gleichen Zeit Gerhard Schröder die Hoffnung Edmund Stoibers auf eine rechte Wende in Deutschland zu ruinieren.

Aus österreichischer Sicht war immer klar: Stoiber, der Freund von Wolfgang Schüssel und seiner Koalition mit der FP, als deutscher Kanzler – das würde die Regierung in Österreich stabilisieren. Und viele fragten sich, ob eine rechte Achse Berlin-Wien-Rom Europa zuträglich wäre. Nach dem Scheitern von Schwarz-Blau in Wien würde nun ein Sieg der regierenden rot-grünen Koalition in Berlin einem rot-grünen Projekt in Österreich gewaltigen Auftrieb geben. Ende November wird hier schließlich gewählt. Und so verfolgen die Gegner der Koalition der österreichischen Konservativen mit den Rechtspopulisten des Jörg Haider mit glänzenden Augen die Aufholjagd von Schröder und Fischer. Ganz froh kann man damit freilich nicht werden.

Der deutsche Kanzler mag in seiner Ablehnung des Kriegskurses der Bush-Administration völlig Recht haben. Er und sein grüner Vize Joschka Fischer sind auch nicht verdächtig, als dumpfe Pazifisten zu handeln. Sie haben mutig und gegen den massiven Widerstand ihrer jeweiligen Stammwählerschaft die Teilnahme der Bundeswehr an den Kampfeinsätzen auf dem Balkan und in Afghanistan durchgesetzt und damit Deutschland zu einem auf der internationalen Bühne handlungsfähigen Partner gemacht. Aber ebenso klar ist, dass die Propaganda des „Mit uns kein Irak-Abenteuer“ den primitivsten – auch in Österreich wohl bekannten – Antiamerikanismus wahltaktisch mobilisiert.

Ähnlich ambivalent erscheint Schröders „deutscher Weg“. Der ist in in der Sache durchaus vernünftig. Gerade in der weltweiten Rezession, angesichts der Börsenstürze, Monsterpleiten und der eklatanten Manager-Unmoral in den USA macht es Sinn, das „deutsche“, sprich: das europäische Wirtschaftsmodell dem amerikanischen gegenüberzustellen. Mit der Sprachregelung vom „deutschen Weg“ werden aber Erinnerungen an verhängnisvolle deutsche Sonderwege des vergangenen Jahrhunderts geweckt. Die Frage ist, ob wir einen neuen deutschen Nationalismus, diesmal im linken Gewande, entstehen sehen. In Österreich werden die Deutschen zwar hoch geachtet, die „Piefkes“ allerdings sind nicht so beliebt. Besorgnis regt sich, ob Deutschland eigene Wege beschreitet und sich aufmacht, die Avantgarde Europas gegen die Bevormundung des amerikanischen Imperiums zu werden. Die historischen Assoziationen sind aber auch nicht überzubewerten.

Schwarz-Blau in Wien ist zerbrochen – und der Sieg der Union in Berlin scheint verhindert

Niemand in Österreich hat mehr ernsthaft Angst vor einem deutschen Sonderweg. Schon die mit der Wiedervereinigung 1990 befürchtete nationalistische Aufwallung hat nicht stattgefunden. Helmut Kohl entpuppte sich als Supereuropäer, der sein Land irreversibel in der EU verankerte. Und unter Schröder und Fischer führte der Weg an die vorderste Front der Integrationsfreunde: Wie kein anderes EU-Land tritt das rot-grüne Deutschland für eine bundesstaatliche Lösung der europäischen Zukunft ein. Joschka Fischer war der erste Machtträger in der EU, der öffentlich die Frage der „Finalität Europas“ zur Diskussion stellt. Er wird in der internationalen Öffentlichkeit als der einzige Europapolitiker mit Format gehandelt.

Noch ein Grund, warum der neuerliche, leicht nationale Zungenschlag Schröders nicht wirklich zu beunruhigen vermochte: Die rot-grüne Regierung hat die deutsche Nation umdefiniert und von Grund auf zu einer modernen gemacht. Die Einwanderungsgesetze, vor allem das neue Staatsbürgerschaftsrecht, haben dem Deutschtum die ethnische Basis entzogen. Letztlich ist ab nun der Deutscher, der in Deutschland lebt. Die Herkunft spielt in diesem nun offiziell als Einwanderungsland erklärten Staat keine konstitutive Rolle mehr. Damit ist auch der Deutschtümelei die Grundlage genommen. Von außen betrachtet verwundert es, wie wenig im Wahlkampf diese revolutionären legalen Veränderungen als große Leistung gefeiert werden. Offenbar wollten SPD und Grüne vermeiden, der Union mit dem Ausländerthema eine erwiesenermaßen in Wahlkämpfen erfolgreiche Waffe in die Hand zu geben. Nach den schlechten Umfragewerten für die Union vom Wochenende stellt diese die Zuwanderung jetzt auch in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfes. Damit rückt sie ab von ihrer Darstellung, bei der Wahl am 22. September handele es sich nicht um eine große ideologische Richtungsentscheidung. Edmund Stoiber, der in der Vergangenheit mit rechten Sprüchen aufgefallen ist, führte bislang einen braven Mitte-Wahlkampf. Man würde den Beschwichtigern gerne glauben, hätten sie sich in anderen Fällen von Rechtswenden auf der Welt in den vergangenen Jahren nicht schon mehrmals geirrt. Könnte nicht, so wurde gehofft, Ariel Scharon in Israel zum Friedenspremier werden, so wie einst der rechte Menachim Begin, der trotz der starken Worte schließlich Frieden mit Ägypten schloss? Die Hoffnungen wurden bitter enttäuscht. Im Grunde seines Herzens sei Berlusconi ein Mann der Mitte, analysierten nicht wenige Kommentatoren. Ein Jahr danach weiß man: Er demontiert in Windeseile den italienischen Rechtsstaat. Der versprochene „compassionate conservativism“ von George W. Bush entpuppte sich als soziale Gemeinheit im Dienste der Superreichen. Und mit der angekündigten Domestizierung und Zivilisierung der FPÖ in der österreichischen Regierung ist es offenbar auch nichts geworden.

Der Kurs nach rechts kann in unseren Zeiten offenbar unangenehmer werden, als die Wähler glauben. Die Befürchtung, das könnte auch für Deutschland gelten, ist nicht ganz unbegründet. Seit vergangener Woche sieht es freilich so aus, als ob es ohnehin anders läuft. Schwarz-Blau in Wien ist zerbrochen. Die von allen erwartete historische Rechtswende in Schweden trat nicht ein. Und nun scheint der Unions-Sieg in Berlin verhindert zu sein. Für Analytiker von politischen Großtendenzen sind das schlechte Zeiten. Zuerst sprachen sie vom neuen sozialdemokratischen Jahrhundert. Dann raunten sie vom Aufstieg des Populismus und der Rechtswende. Plötzlich sieht es innerhalb von einer Woche wieder ganz anders aus. In Österreich jedenfalls sieht man in den vergangenen Tagen wieder vermehrt fröhliche Gesichter.

Heute hat niemand in Österreich mehrernsthaft Angst vor dem nördlichen Nachbarn

GEORG HOFFMANN-OSTENHOF