Die Illusion des Endes

Von Büchern, Gärten und anderen Paradiesen, in denen es sich leben lässt: Die Merve-Verlegerin Heidi Paris ist tot

Ich erinnere mich an ihre Stimme – tief, zugreifend, von kollerndem Lachen durchsetzt; an den skeptischen Ton, brüsk, nachfragend, nachhakend und hin und wieder, als würde sie etwas aus- und wegwerfen, wie schon vergessen, selbstvergessen.

Ich erinnere mich an ihre Gestalt – anmutig aufrecht, biegsam, eine Tänzerin in Wartehaltung, aber auch, ganz unvermittelt, müde und erschlafft von einer tiefen Erschöpfung. Ich erinnere mich der Leichtigkeit, mit der sie in den ehemals großen Räumen des Merve Verlags in der Crellestraße Abende so reibungslos ins Rollen brachte, dass die Vorträge von Böhringer, die Musiken von Zimmermann und Barbara Feldman, die poetologischen Kopfstände von Kapielski und die kreuz und quer laufenden Gespräche sich zusammenfügten zu einem Patchwork unwiederholbarer Augenblicke

Ich erinnere mich, wie sie mir die Japanerin Takemoto vorstellte mit der Bemerkung, „diese Frau hat Blixa Bargeld ins Japanische“ übersetzt – und wie sie lächelte, als Takemoto mit einer winzigen Verbeugung sagte: „Japanisch ist meine Waffe.“ Ich erinnere mich, wie sie von einer tiefen, narkotischen Begeisterung für Gärten erfasst wurde, sie, der letzte Großstadtindianer aus der Tunix-Zeit. Nicht minder begeistert, bounced out von Westbam und Goetz.

Ich erinnere mich, wie sie mir Kassetten schickte statt eines Briefes – „Heidis Mix“ –, fein verschlüsselte Mitteilungen über ihre Seelenzustände, unaussprechlich, aber deutlich vernehmbar: nervöse und exotische, pochende und verebbende Impulse. Ich erinnere mich an ein Paar, Heidi und Peter, die mit ihrer unbändigen, rastlosen Neugier die Areale der Kunst, der Politik, der Theorie mit ihren Wünschelruten abschritten, um zutage zu fördern und einer künftigen Entzifferung zu übergeben, was vom professionellen Gewerbe übersehen oder als marginal abgetan wurde. Randgänger beide und tief einander zugetan, zärtlich und streitend, manchmal so sehr am Rand, dass ein unmittelbarer Absturz zu befürchten war.

Ich erinnere mich, wie sie unter der Last, diesen unmöglichen Verlag zu führen, fast zusammenbrach, wortkarg. In einer Mail vom Anfang September schrieb sie: „Der *** Verlag will Merve nicht übernehmen. Bin wieder um eine Illusion ärmer. Das Wetter und die Flutkatastrophe haben mich sehr mitgenommen. Habe daraufhin aufgerüstet: Kerzen, Rucksack, Schlafsack, Lebensmittelreserven, Handy, Laptop. Am Sonntag, 8. September, 17.45 im Arsenal ein Film ‚Im Garten‘ über Karl Foersters Garten in Bornim. Vielleicht interessiert es Dich.“ Der Tod einer Freundin tut weh, und er ist ein Skandal für uns, auch wenn er selbst gewählt ist. HANNS ZISCHLER