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Rote meinen: Wählt ruhig grün

Sozialdemokraten rufen in Anzeigen zu Zweitstimmen für Grüne in Kreuzberg auf. Parteispitze hat keine Einwände, weil angeblich nur Grünen-Wähler gemeint sind

Auf der Internetseite von Andreas Matthae, SPD-Direktkandidat in Friedrichshain-Kreuzberg, hat es einen Aufruf zum rot-grünen Stimmensplitting gegeben. Darin heißt es, rot-grüne Wähler sollten mit der Erststimme Matthae wählen – „wer die Grünen stärken will, kann dies mit der Zweitstimme tun“. SPD-Landesgeschäftsführer Ralf Wieland bestätigte, einer der Unterzeichner zu sein. Parteichef Peter Strieder hatte zuvor jenen SPD-Mitgliedern mit Ausschluss gedroht, die am Wochenende für ein Splitting mit Erststimme für den Grünen Christian Ströbele warben. Matthae kündigte der taz an, den Aufruf von seiner Homepage zu nehmen. Die Parteispitze hat mit dem Aufruf kein Problem.

„Ich trage das natürlich nicht mit“, sagte Matthae. Er werbe dafür, mit beiden Stimmen SPD zu wählen. Das Extra-Internetfenster mit dem Aufruf hätten Bekannte von ihm ohne seine Kenntnis dort platziert. „Auf meine Homepage habe ich zum letzten Mal vielleicht vor sechs Wochen geguckt“, sagte Matthae. Nicht er oder die SPD, sondern ein Bekannter kümmere sich um diese Seite. „Ich selbst habe nicht die Zeit dazu.“

Eine ähnlich wie der Internetaufruf gestaltete Anzeige war gestern in der taz erschienen. Darin heißt es unter anderem „Stoiber verhindern, heißt Rot-Grün wählen – und zwar in dieser Reihenfolge“. Der SPD-Landesverband, der den umgekehrten Splittingaufruf pro Ströbele heftig kritisierte, hat dieses Mal nichts bemängeln. „Wir haben keine Problem damit, weil die Anzeige die klassischen Grünen-Wähler ansprechen soll“, sagte Parteisprecher Hannes Hönemann. Ganz anders verhalte es sich mit der Pro-Ströbele-Anzeige, wegen der Strieder mit Rausschmiss drohte. Dort würden SPD-Mitglieder aufgerufen, ihre Erststimme nicht dem eigenen Kandidaten zu geben.

Beide Aufrufe – im Internet wie in der taz – sind formell nicht speziell an Grüne adressiert, sondern überschrieben mit „An die Wählerinnen und Wähler von Rot-Grün“ in Matthaes Wahlkreis. Zu den Unterzeichnern gehört Clemens Teschendorf, Vorstandsmitglied der SPD Friedrichshain-Kreuzberg und Bezirksverordneter. Landesgeschäftsführer Wieland sagte, er habe seinen Namen für eine Pro-Matthae-Aktion zur Verfügung gestellt. Die jetzt veröffentlichte Form nannte er „nicht so optimal, aber angesichts der Zielgruppe vertretbar“.

Wielands Name steht auch unter einem Abmahnungsbrief, den der FU-Politologe und SPD-Mann Richard Stöss vom Landesverband seiner Partei erhalten hat. Stöss ist eines der fünf SPD-Mitglieder, die am Wochenende für Ströbele warben. Bis gestern sollte er sich davon öffentlich distanzieren, sonst drohe im der Ausschluss, schrieb ihm Wieland namens der Partei.

Stöss lehnte gestern einen solchen Widerruf ab. Ebenso wenig mochte er Ausschlussverfahren für die Unterzeichner des Pro-Matthae-Stimmensplittings fordern. Die hätten ihre Meinung geäußert so wie er seine. Stöss geht ohnehin davon aus, dass sich die Rausschmissdrohung nach der Wahl im Sand verläuft. Parteichef Strieder Äußerungen dazu sieht er als „Teil des politischen Spiels“. STEFAN ALBERTI

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