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Der Fluch der Symbiose

„Hauptsache, er schießt“, sagte Strauß über Stoiber. Der schoss. „Ich sehe den Begriff Populist als Ehre.“

von PETER KÖPF

Die schlimmsten Momente in seinem Politikerleben liegen weit zurück, aber Edmund Stoiber hat sie nie vergessen: Da saß sein Chef und Mentor Franz Josef Strauß mit seinen Freunden bei Schweinshaxn und einer Maß im Wirtshaus, und er stürmte herein, den Arm voller Akten. Den Dannecker Franz erblickte er rechts neben Strauß, daneben den Heubl Franz und links den Schönhuber Franz, nicht Mitglied der Partei zwar, aber Intendant in spe beim Bayerischen Rundfunk. Und auch ein paar andere einflussreiche Männer ohne den Vornamen Franz wie der „Hendlkönig“ Friedrich Jahn gehörten zum „Franzensclub“, dessen Mitglieder sich wichtig taten beim Herrn Ministerpräsidenten.

Wie Stoiber diesen Kungelkreis verachtete, wie er Spezlwirtschaft verurteilte. Vor allem aber hasste er diesen Moment, wenn irgendeiner der Männer aufstöhnte, weil er nicht locker ließ. „Lass doch den Mann jetzt endlich mal in Ruhe, der muss doch auch mal ausspannen“, forderte der eine. „Hör doch mal auf, kannst du nicht mitfeiern?“, der andere. Wenn’s ganz schlimm kam, dann frozzelte einer von ihnen: „Edi, geh mal schön arbeiten.“ Alle feixten.

Edmund Stoiber steckte die Hiebe ein, trollte sich und arbeitete noch härter als zuvor; je weniger sein Chef sich um die bayerische Politik kümmern wollte, umso tiefer tauchte Stoiber ein. Ihn befriedigte ein Gedanke: Der engste Mitarbeiter vom Strauß, das war kein anderer als er. Nichts lief ohne ihn in der Staatskanzlei. Er machte Strauß’ Job, er wälzte die Akten und analysierte die Fakten, er verhandelte mit denen in Bonn und zog die Strippen in München, und er lief dem nachlässigen MP hinterher, wenn’s nötig war. Dass diese Ignoranten das nicht sehen konnten! Wer, wenn nicht er, bestimmte die bayerische Politik, wer?

Stoiber unterdrückte seine Wut. Er lernte. Er sammelte Wissen, auch solches, das man bei Bedarf aus unteren Schubladen ganz hinten hervorholt. Er wusste, sein Tag würde kommen. Aber nicht nur die dummen Sprüche, auch Strauß’ Ignoranz für die kleine bayerische Politik war eine harte Prüfung: „Ich wusste oft nicht, was ich machen sollte“, erinnerte Stoiber sich später, „am nächsten Tag hat der Kohl gesagt, ich möchte das jetzt wissen, oder der Zimmermann hat gesagt, Mensch, ich brauche dringend die Entscheidung, ob ich das so oder so machen kann, aber ich erwisch den Strauß nicht. Oder der Blüm, oder oder oder. Das war mein Problem.“ Richtig laut wird Stoiber, wenn er an diese Zeit zurückdenkt, und es ist zu ahnen, wie er damals die Zähne zusammenbiss. „Ich habe oft die Sekretärin gefragt, wann Strauß weggeht, wenn ich wusste, der hat eine Veranstaltung. Dann bin ich runter, hab mich ins Auto neig’schmissen neben den persönlichen Referenten und hab gesagt: Du, ich muss jetzt zwei Dinge klären. Dann bin ich mitgefahren, irgendwohin, um das zu klären.“ Es ging schnell: „Das brauchst du nicht alles lesen, Franz Josef.“ Und Strauß unterschrieb. „Aber das musst du lesen, die entscheidende Frage ist auf Seite 18.“ Strauß vertraute Stoiber blind, und der diente ergeben. „Da hat er gemerkt“, glaubt Stoiber, „der kennt seine Grenzen, der Stoiber, der weiß, was er nicht entscheiden kann, aber der weiß genau, wo der Punkt liegt.“

So selbstverständlich funktionierte diese Symbiose jedoch nicht. Der Strauß ließ den Stoiber zwar schuften, der Stoiber wartete jedoch ebenso sehnsüchtig wie vergebens auf dessen Belohnung, auf die Anerkennung, die er zu verdienen glaubte. Dann war der Strauß plötzlich gestorben und hatte sich nicht einmal bedankt für die Frondienste. Und zu früh auch noch. Gerold Tandler und Max Streibl rangierten noch über ihm, altersmäßig, das hatte der Franz Josef sogar kurz vor seinem Tod ausdrücklich selbst gesagt. Da stand er nun, der sich als Kronprinz gesehen hatte, allein, denn der Neider, Konkurrenten und Missgünstlinge waren viele.

Vom heimlichen Regenten der Staatskanzlei wurde Stoiber zum einfachen Mitglied im Kabinett eines alten Herrn, den er nicht mehr ernst nahm. Der Max Streibl versank doch in Strauß’ Stiefeln bis zu den Haaren.

Dennoch setzte Stoiber als Innenminister pflichtschuldig fort, was er zuvor schon getan hatte; er diente dem Volk der Bayern, so gut er es verstand: „Was soll ich den Leuten sagen“, fragte er so scheinheilig wie bürgernah, „wenn in der Nähe eines Asylantenheimes ein junges Mädchen vergewaltigt wird?“ O-Ton Stoiber. Immer auf Volkes Höhe, aber an Argumentationskraft dreist voraus. Seine Antwort auf Tschernobyl war die Verschärfung des Demonstrationsrechts – wegen der Demonstrationen für den Ausstieg; er forderte eine Meldepflicht für Aidskranke, weil die Bevölkerung sonst Selbstschutzmaßnahmen ergreife – er meinte nicht Kondome, sondern Pogrome. Es folgten Unterbindungsgewahrsam, finaler Rettungsschuss, Ausländerkriminalität, „Asylantenflut“, sogar von „Aussiedler-Missbrauch“ sprach er. Populismus? „Ich“, parierte Stoiber, „ich betrachte den Begriff Populist als Ehrenauszeichnung.“

Einer wie Stoiber gibt nicht auf, wenn er ein Ziel vor Augen hat. Einer wie Stoiber geht seinen Weg, immer geradeaus, wenn’s sein muss, läuft er auch Spießruten. Gern ließ der Jurist erwägen, welche Karrieren ihm offengestanden hätten. Und Fußball-Nationalstürmer hätte er auch werden können, sollten die Menschen glauben. Aber dann kam die Politik, und jeder musste doch schon damals sehen, was für ein Kerl der Stoiber war: Ministerialbeamter, Redenschreiber, Landtagsabgeordneter, dann als Anführer der jungen Wilden von Ministerpräsident Alfons Goppel abserviert und von Strauß auf den Thron gehoben und weitere zwei Jahre später Generalsekretär von Strauß, nein, der CSU.

Da war Stoiber 37 Jahre alt. Bei Strauß hatte er das Feld gefunden, auf dem er öffentlich glänzen konnte. Und seine erste Rolle: „Meine Aufgabe war es, Strauß den Rücken freizuhalten, die Pfeile auf mich zu ziehen.“ Die Pfeile trafen, aber der „General“ schoss zurück gegen die Linken, die Gewerkschaften, die Grünen, die Literaten. „Die Hetze gegen Strauß“, ließ er hören, „gleicht der Hetze gegen die Juden im Dritten Reich.“ Bei dem Thema kannte und kennt er keinen Spaß. Schließlich waren die Nationalsozialisten ja in erster Linie Sozialisten gewesen, ned? Und wenn die Sozialisten nun gegen sein Vorbild hetzten, dann gab er ihnen doppelt und dreifach zurück. Wehret den Anfängen. Sollten Sie ihn dafür doch das blonde Fallbeil nennen oder gar mit Goebbels vergleichen – sein Ziel hieß: Strauß muss Kanzler werden. Der wollte zwar nicht, der Strauß, aber wenn einer nicht entscheiden will, müssen das eben andere für ihn tun: Dass Strauß kandidierte, dafür sorgten Friedrich Zimmermann, Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, und Edmund Stoiber. Bevor Strauß Nein sagen konnte, hatten sie das Ja schon herausposaunt.

Bei der Bundestagswahl 1980 kam Strauß auf 44,5 Prozent der Stimmen, Helmut Schmidt blieb Kanzler. Strauß wie Stoiber hatten die Schuldigen rasch gefunden: die Grantler in der Union, die gegen den Kandidaten geschossen hatten, sowie die Medien. Strauß verlor Einfluss auf Bundesebene, aber was zählte das schon? Machte er seine Politik eben weiter auf seine Art.

Strauß griff aus der Partei niemand an, niemand wagte das. Dafür aber Stoiber. Dass nicht nur die Preußen den Bayern ablehnten, sondern dass die Parteifreunde ihn für die Schlappe verantwortlich machten und auf einmal keinen Stoiber mehr wollten, das hat ihn verletzt. Im Landtag kursierte der Witz: „Was ist der Unterschied zwischen Stoiber und einem Terroristen? Terroristen haben mindestens fünf Sympathisanten.“ Nur 46,9 Prozent der Delegierten wollten ihn im Juli 1983 noch im Parteivorstand haben.

Der Mentor jedoch stand zu seinem Generalsekretär. Stoiber „hält den Kopf auch dahin, wo es denselben kosten kann“, lobte Strauß. Stoiber meint: „Strauß waren Leute zuwider, die mit 38 schon glatt wie ein Diplomat mit Köfferchen waren. Von denen gab es genügend.“ Der habe andere Eigenschaften bevorzugt und gesagt: „Mir ist jeder, der übers Ziel hinausschießt, lieber; Hauptsache, er schießt.“

Stoiber schoss. Seine volksnahen Reden gefielen auch dem Parteivolk. In einer Kampfabstimmung um den stellvertretender Parteivorsitz besiegte er 1989 Fraktionschef Alois Glück. Stoiber wollte „einmal wissen, was meine Arbeit im Urteil eines Parteitages wert ist“. Offenbar viel.

Zwei Jahre später wollte Streibl trotz seiner Amigo-Geschichten nicht „aus gesundheitlichen Gründen“ zurücktreten. Da musste er eben gegangen werden. Jetzt oder nie! Parteichef Waigel sollte Nachfolger werden, aber Stoiber formierte die CSU-Fraktion hinter sich – gegen die Bonner, von denen sich die Münchner nicht bevormunden ließen. Stoiber strotzte vor Selbstbewusstsein. Ministerpräsident? „Des hab ich ja praktisch schon mal gemacht“, ließ er vernehmen, „als ich beim Strauß in der Staatskanzlei war, da hat er nach außen gewirkt, und ich hab innen die Arbeit gemacht.“

„Das brauchst du nicht alles lesen, Franz Josef“, sagte Stoiber. Und Strauß vertraute ihm blind.

Bevor Waigel zu Ende überlegen konnte, fiel die Entscheidung, und Stoiber hatte die Mehrheit der Partei hinter sich gebracht.

Die CSU aber stürzte in Umfragen auf unter 40 Prozent. Schalck-, Gauweiler- , Amigo- und Zwick-Ausschuss knebelten die CSU und Stoiber. Und nur ein Jahr blieb ihm bis zum Superwahljahr 1994. Stoiber kämpfte gegen sein Waterloo, mit all seiner Kraft. Der Ministerpräsident durchkreuzte ganz Bayern, besuchte jeden Ortsvorsitzenden und jedes Bierzelt. Seine Europapolitik hieß „möglichst viel für Bayern herausholen“, seine Asylpolitik „das Boot ist voll“. Und die Ski-Asse Markus Wasmeier und Miriam Vogt führten den Stoiber-Fanclub an. Stoibers Einsatz wurde belohnt: 52,8 Prozent. Seither glaubt er fest daran, jedes Problem lösen zu können.

Nachdem er nach der verlorenen Bundestagswahl 1998 auch Theo Waigel als Parteichef beerbt hatte, war Stoiber Bayerns Sonnenkönig. Aber einer wie er gibt sich mit dem „schönsten Amt“ nicht zufrieden. Einer wie er schaut immer nach neuen Zielen.

Plötzlich war da eine einmalige Chance: die Kanzlerkandidatur. Einer wie Edmund Stoiber konnte nicht anders, er musste die Gelegenheit er- und als Geschenk des Himmels begreifen, und ihm war egal, ob Strauß oder Engel Aloisius der Absender war.

Wenn Edmund Stoiber am Sonntag die Wahl verliert, wird er etwas indigniert seinen Kopf schief legen und mit seinen bayerischen Freunden ein wenig lamentieren: Die Preißn, wollens halt noch immer keinen Bayern ned. Aber ehrenvoll sei die Niederlage ausgefallen, wird er betonen und darauf hinweisen, wie aussichtslos die Lage im Januar gewesen war, als er die Aufgabe übernahm. Und wenn sie ihn dann nach München zurückgeschickt haben werden, die Kolleginnen und Kollegen von der CDU, wird er von dort aus schadenfroh beobachten, wie sich die Kandidaten für 2006 die Köpfe blutig schlagen. Seine Wähler südlich des Weißwurschtäquators aber werden scheinbar gleichgültig die Schultern zucken und sich heimlich freuen: Bleibt er eben uns erhalten. Im kommenden Jahr werden sie ihn als Ministerpräsidenten bestätigen.

Wenn aber Stoiber siegt, würden einige seiner Wunden geheilt. Der größte Triumph wäre: Edmund Stoiber hätte damit auch seinen Mentor und Lehrer übertroffen. Und damit hätte er es dann wirklich allen gezeigt. Nur einer kann leider nicht mehr dabei sein. Und falls Stoiber siegen sollte, werden am Sonntag in Bayern viele vor sich hin murmeln: Wenn das der FJS noch erleben könnte. Ob es dem gefiele, ist eine ganz andere Frage.

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