: AKW: Wo hätten Sie’s denn gerne?
Ein Brief verunsichert ostfriesische Bürgermeister: Sie sollen Flächen für Atomkraftwerke ausweisen, bittet sie eine zweifelhafte Gesellschaft. Denn wenn erstmal gelb-schwarz dran ist, dann geht’s aufwärts mit der Kernenergie. Die CDU ist not amused
„Deutsche Gesellschaft“ klingt immer gut. Die Deutsche Gesellschaft zur Information für Kernenergie (DGK) bittet ostfriesische Bürgermeister, „uns Ihre Möglichkeiten zur Ausweisung von Bauplätzen für Atomkraftwerke mitzuteilen“.
Die Gemeinden sollten bis Mitte September entsprechende Meldung machen. „Der Bürgermeister hat entschieden, dies nicht zu tun“, sagt der Bürgermeister der Gemeinde Ihlow, Harm Jürgens.
„Hier ist Moorboden“
Schelmenstreich, Stimmungsmache vor der Wahl oder grober Unfug? Nach dem zu erwartenden Regierungswechsel würden CDU/CSU und FDP den Ausstieg aus dem Ausstieg der Kernenergie umsetzen und 70 neue Atomkraftwerke bauen, dafür benötige man Bauplätze, so steht es im DGK-Brief an ostfriesische und 7.000 andere kleine Gemeinden. „Wir können hier doch keine AKW bauen, hier ist Moorboden, und es gibt keine Kühlungsmöglichkeit“, erklärt ein sichtlich verunsicherter Martin Feldkamp, stellvertretender Gemeindedirektor der Samtgemeinde Hesel.
Anrufen? Das gibt Ärger
„Die Internet-Seite der DGK ist professionell, die ist wirklich seriös“, findet Ihlows Bürgermeister. Stimmt – aber mehr als die Internet-Seite ist von der Gesellschaft auch nicht auszumachen. Als Telefonnummer firmiert nur eine 0180-Nummer. Die soll einer Agentur in Berlin gehören. Die Agentur gibt es aber nicht. Diese Nummer gehört einer Firma für Energieberatung und Solartechnik, Sitz in der Dresdner Straße in Berlin. Ein Mitarbeiter hat die Jobadresse für seine Ambitionen genutzt: „Ja, ich habe für private Zwecke die Telefonnummer aus dem Betrieb mitgenommen“, gesteht Martin Schnauss, Beschäftigter der Firma, „wir sind eine Privatinitiative von 20 Leuten, die neutral eine Machbarkeitsstudie über die möglichen Pläne der CDU/CSU erstellen will.“ Sprecher der Gruppe ist ein gewisserJohannes Gresser. Der ist aber derzeit nicht aufzufinden. „Der mag nicht an seinem Arbeitsplatz angerufen werden, das könnte Schwierigkeiten geben“, so Schnauss.
Bei der CDU brennt’s
Einen offiziellen Auftrag von den Christdemokraten hat die Schnauss-Gresser Truppe nicht. Im Büro von Kurt Dieter Grill, CDU-Vorsitzender der Enquete-Kommission für nachhaltige Energieversorgung, brennt es: „Die DGK hat uns sehr beschäftigt. Die betreibt reine Stimmungsmache gegen die CDU. Wir wollen keine 70 Atomkraftwerke bauen, alles Unsinn“, schimpft ein Sprecher Grills. Und der FDP-Vize-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Walter Hirche, geht noch einen Schritt weiter: „Die FDP will keine weiteren Atomkraftwerke bauen.“
„Wir stellen fest, wir haben eine Debatte vom Zaun gebrochen“, freut sich Strippenzieher Martin Schnauss. Zu welchem Zweck? „Wir wollten sehen, ob eine Versorgung mit Kernenergie tatsächlich möglich wäre.“ Hat die „Brief-Studie“ überhaupt einen Anflug von wissenschaftlichem Charakter? Schnauss: „Wohl nicht.“
Zum Aufmischen reicht’s
Für die Verunsicherung der ostfriesischen Bürgermeister aber hat‘s gereicht. Hintergrund: Anfang der 70-er Jahre war geplant, die Küste zwischen Emden und Wilhelmshaven zu industrialisieren. Ein Tiefwasserhafen, ein internationaler Flugplatz, Autobahnanbindungen, Schwerindustrie und ein Atomkraftwerk wurden auf den Reißbrettern der Planer an die Küste geschoben. Das Atomkraftwerk sollte in der Emsmündung am Dollart bei Emden stehen. „Wenn die DGK eines erreicht hat, ob ernst gemeint oder als Gag“, so Harm Jürgens, Bürgermeister aus Ihlow, „dann hat sie schlummernde Diskussionen wiederbelebt. Mit Sicherheit überlegen jetzt viele nicht nur das Für eines Ausstiegs aus der Atomenergie sondern auch das Wider.“
Diese Diskussion allerdings ist kein Gag. Denn die EU prüft zurzeit ob das Erneuerbare-Energie-Gesetzt (EEG), vulgo die Förderung von Wind-, Solar- und Biogasenergie, eine unlautere Subvention darstellt. Darüber hinaus läuft 2010 das EEG ohnehin aus. Wenn bis dahin keine neuen Gesetze oder Konzepte vorliegen, dann könnten tatsächlich AKWs aus den Windparkruinen Ostfrieslands entstehen.
Thomas Schumacher
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen